15.01.2025, Kultur & Freizeit

Wörter und Farben sammeln – Liebe ausstellen

Kolumne von Gastkünstlerin Sanna Konda zur Ausstellung „Poetische Begegnung“

Bin ich eigentlich Künstlerin? Diese Frage ist eine der schwierigsten überhaupt. Elementarer Bestandteil meines Künstlerinnendaseins scheint nämlich zu sein, dass mich ab und zu die allergrößten Zweifel daran überfallen. Ausgesprochen hilfreich ist es dann, in einer Künstlerwohnung zu wohnen, da festigen die stabilen Wände um einen die plötzlich so fragwürdige Identität.

Seit wann bin ich eigentlich Künstlerin? Die Spannweite der möglichen Antworten reicht von „schon immer“ bis „hoffentlich bald“. Als Kind hatte ich nicht die geringsten Zweifel an meinem künstlerischen Dasein. Noch bevor ich lesen konnte, war mein Lieblingsbuch Leo Leonnis „Frederick“ und Frederick war wie ich. Meine Eltern mussten mir das Buch in Dauerschleife vorlesen. Frederick ist eine Maus. Während die anderen Mäuse Nahrung sammeln und für den Winter Vorräte anlegen, sieht es so aus, als sei der kleine Frederick ein bisschen faul. Er träumt viel. Von den anderen Mäusen wird er gefragt, warum er nichts sammelt. Da sagt er, er sammle Wörter und Farben. Na, so ein Sonderling! Am Ende, als es im tiefsten Winter eisekalt ist und die Vorräte knapp werden, packt Frederick zum glücklichen Staunen der ganzen versammelten Mäuseschar seine Farben und Wörter aus.
Ab dem kommenden Sonntag, mitten im kältesten Winter, werde ich gemeinsam mit dem Kunstverein und drei von uns eingeladenen Künstler*innen Farben und Wörter, die uns nähren und wärmen, in der Alten Apotheke ausstellen. Getragen wird die Ausstellung von der Idee, dass es zum Kunstmachen oft mehr als nur eine Person braucht. Im Kontrast zur Idee des einsam arbeitenden künstlerisch tätigen Menschen betonen wir die Resonanz zwischen Menschen als Ursprung schöpferischer Prozesse. Die Kontaktaufnahme mit dem Anderen spiegelt dabei auch eine Annäherung an eigene unterbewusste Vorgänge und Träume. Und ebenso sind die Besucher*innen der Ausstellung eingeladen, ihren eigenen Assoziationen nach innen zu folgen.
Am Sonntag um 15 Uhr findet die Vernissage in der Alten Apotheke statt. Die Ausstellung mit dem Titel „Poetische Begegnung“, die wir dann eröffnen, zeigt Bilder der Kölner Malerin Hannah Tzschentke, Fotos des Pariser Fotografen Marcus Heim und eine Installation der Wiener Performance-Künstlerin Agnes Schneidewind. Jeder einzelne Raum der Ausstellung, gestaltet von je einer/m der drei, ist ein eigenes kleines Universum einer künstlerischen Produktion. Gleichzeitig findet, wie der Titel verspricht, eine Begegnung der Kunstwerke statt, die sich zum Tanz auffordern, miteinander ins Gespräch geraten, sich gegenseitig erhellen oder verdunkeln, jedenfalls eine Beziehung miteinander suchen.

Es ist für mich das erste Mal, dass ich die Aufgabe der Kuratorin so persönlich nehme und eine Ausstellung konzipiere, die mich selbst und meine künstlerische Entwicklung so sichtbar macht. Wenn ich durch die Ausstellungsräume gehe, begegne ich mir selbst in unterschiedlichen biografischen Phasen meiner Weltwahrnehmung und meiner Ausdrucksmöglichkeiten. Ich begegne ebenso meiner Beziehung zum jeweiligen Künstler und den gemeinsamen Orten dieser Beziehung.

Mit Hannah Tzschentke habe ich Aachen als gemeinsamen Studienort geteilt. Ganz jung noch haben wir uns gegenseitig bestärkt bei unseren ersten künstlerischen Versuchen, sind die erste Betrachtende unserer Bilder oder die erste Leserin unserer Texte füreinander gewesen. Wir haben für uns die Kunstform des assoziativen Bildkommentars entworfen, um die Wirkung eines Bildes zu erproben, um Bild und Text in ein Spiel miteinander zu bringen, um uns in freier Assoziation zu üben und dabei uns selbst näher zu kommen.

Mit Marcus Heim teile ich die ostfriesische Landschaft und ein permanentes Gespräch zwischen den Großstädten Wien, Paris und Reykjavik. Unsere Dialoge handeln häufig von Alltagserfahrungen, davon, wie wir uns am Wegesrand verlieben und was das und diejenigen mit uns machen. Das Gespräch ist geleitet von den Fragen, ob uns etwas Poetisches begegnet, wie wir der Welt poetisch begegnen können oder was sich zur Poetisierung eignet. Es schärft den Blick hinsichtlich der Bedingungen des eigenen künstlerischen Tuns. Wenn ich Marcus' Fotos anschaue und meine Texte lese, fasziniert mich, dass ich die Reflexionen unserer Gespräche darin wiederfinde.

Agnes' Schneidewind habe ich während der gemeinsamen Arbeit bei einer Performance im Tanzquartier in Wien kennen gelernt. Daraus ist eine Freundschaft entstanden, deren Gespräche ebenfalls zum Reflexionsraum über Träume, Beziehungen und letztlich über die Bedingungen von Kunst geworden sind. Auf der Basis eines umfassenden Verständnisses und der Gewissheit, die andere zu hören und von ihr gehört zu werden, hat sich der Dialog zur Keimzelle kreativen Denkens entwickelt und wird in Agnes' Installation in der Alten Apotheke selbst zum Kunstwerk.

Eine Antwort auf die Frage, ab wann man Künstlerin ist, liegt auch in diesen Beziehungen zu anderen, die einem erlauben, das eigene Künstlerinnendasein auszubauen, zu leben und zu reflektieren. Jede dieser Beziehungen ist ein Versuchslabor für die Frage, ob und wie weit man sich mitteilen kann und dabei auf Resonanz, Verständnis und Liebe stößt. Die Ausstellung des Kunstvereins lädt dazu ein, gemeinsam über die Worte und Farben zu staunen, die wir gesammelt haben, und auch darüber, dass sie zwischen Menschen überhaupt mitteilbar sind.