20.09.2024, Startseite

Unverhoffte Post aus Walldorf

Seit Mitte August lebt die Autorin Sanna Konda in der Künstlerwohnung der Stadt Walldorf. Die Eindrücke, die sie vor Ort sammelt, hält sie in ihrem Walldorfer Tagebuch fest, das auszugsweise auf der Homepage der Stadt und in der Walldorfer Rundschau veröffentlicht wird.
Foto: Stadt Walldorf

Aus dem Walldorfer Tagebuch von Gastkünstlerin Sanna Konda

Seit meine Oma im betreuten Wohnen lebt, nutzt die gesamte Großfamilie ihr Haus in Ostfriesland als Ferienwohnung, heimliches Liebesnest oder festen bis lockeren Wohnsitz. Das führt zu einer ganz neuen familiären Intimität (und damit meine ich das Wissen um die Kriminalität der anderen). Mich erreichen in diesem Haus Blitzlichtaufnahmen von den Onkeln, die nasebohrend die alte Karre von der Oma zu unerlaubten Höchstgeschwindigkeiten treiben. Mein Cousin bekommt gleichzeitig einen Brief vom Arbeitsamt und schickt eine Postkarte aus Thailand für die Oma. Für meine Schwester kommt ein Päckchen mit etwas, das bisher noch nicht als Droge klassifiziert wurde. Über das, was ich unter den Betten finde, schweige ich; die Oma würde sich im Pflegebett umdrehen.

Wir haben eine Chatgruppe eingerichtet, um Termine abzustimmen (niemand möchte in flagranti erwischt werden – oder zumindest nicht noch mal) und uns gegenseitig über unsere Post zu informieren. Mein Onkel schreibt mir: „Du hast Post von der Deutschen Bahn und aus Walldorf. Was hast du in Walldorf gemacht?“

Die Situation mit der Bahn in Ostfriesland ist so eine Sache. Infrastruktur ist rar. Es ist daher in vielen Teilen Ostfrieslands erlaubt, mit einem Niedersachsenticket IC zu fahren, allerdings genau da nicht, wo ich gefahren war.

„Soll ich die Briefe öffnen?“, fragt mein Onkel. Ich schreibe: „Lieber nicht.“ Der neugierige Onkel, wahrscheinlich darauf bedacht, eigene Peinlichkeiten mit meinen aufzuwiegen, lässt nicht locker: „Post ignorieren, geht nicht gut.“ Ich wüsste nur zu gerne selbst, was ich in Walldorf gemacht habe, aber der Gedanke, dass die halbe Familie, die gerade in Omas Haus herumlungert, es vor mir weiß, schreckt mich. „Ein bisschen ignorieren geht noch“, schreibe ich und hoffe, dass mein Onkel meine Briefe nicht antastet. Und dann zerbreche ich mir in einer schlaflosen Nacht den Kopf darüber, welches Verbrechen ich in Walldorf begangen haben könnte, und weiß noch nichts davon, dass mich eine Einladung in die Künstlerwohnung erwartet.

Gastkünstlerin Sanna Konda

Im August hat die Autorin Sanna Konda die Künstlerwohnung in der Scheune Hillesheim bezogen. Sechs Monate lang wird sie dort wohnen und arbeiten. Ihre Eindrücke hält sie in ihrem Walldorfer Tagebuch fest. Auszüge daraus werden Sie regelmäßig in der Walldorfer Rundschau und auf der Homepage der Stadt lesen.