04.12.2024, Kultur & Freizeit
Theresa Hannig – Parts per Million. Gewalt ist eine Option
Am Donnerstag, 28. November, hat in der Stadtbücherei zum ersten Mal die Veranstaltung „Entdeckungen – live“ stattgefunden. Barbara Grabl, Gerhard König-Kurowski und Armin Rößler haben einige Titel aus dem riesigen Berg der Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt in ganz persönlicher Art und Weise vorgestellt. Einen Teil ihrer Auswahl lassen wir für alle interessierten Leserinnen und Leser in der Rundschau nochmals mit Rezensionen Revue passieren. Hier wirft Armin Rößler einen Blick auf „Parts per Million. Gewalt ist eine Option“. Den Nachbericht zur Veranstaltung gibt es hier.
Der Buchrücken verkündet: „Der Kampf um die Zukunft hat gerade begonnen.“ Und zum Inhalt heißt es: „Die Autorin Johanna Stromann will einen Roman über Klima-Aktivisten schreiben. Doch die Recherche erweist sich als gefährlich, denn der Staat versucht, die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken. Bald ist es Johanna nicht mehr möglich, neutral am Rand zu stehen und nur zu dokumentieren. Im Gegenteil: Ihr geht das alles nicht weit genug. Als ein Großteil der Klima-Gruppen verboten und ihre Mitglieder zu Haftstrafen verurteilt werden, gründet sie zusammen mit den verbliebenen Aktivist*innen die Gruppe „Parts Per Million“, um die Verursacher der Klimakatastrophe zur Rechenschaft zu ziehen. Mit allen Mitteln.“ Dazu gibt’s dann noch ein Zitat von Andreas Eschbach, dem deutschen Bestseller-Autor, der sagt: „Das intensivste Buch, das ich seit Langem gelesen habe. Wer danach nicht über den Klimawandel nachdenkt, ist wahrscheinlich tot.“
Theresa Hannig, Jahrgang 1984, schreibt, so ist es zu lesen, in ihren Romanen, Kurzgeschichten und einer taz-Kolumne über Zukunftsthemen wie KI, Datenschutz, den Klimawandel oder die Arbeitswelt von morgen. Ihr aktuelles Buch „Parts per Million. Gewalt ist eine Option“ ist ein Klima-Thriller, der einerseits zwar nicht in unserer Gegenwart spielt, sondern in einer nicht fernen Zukunft, andererseits aber auch sehr nahe an der Realität dran ist. Wie nahe beweisen die Überschriften, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind. „Weite Teile Asiens schwitzen bei rekordverdächtigen Temperaturen“, heißt es in einer CNN-Meldung zu Beginn. „Wegen Trockenheit – Panamakanal schränkt Schifffahrt weiter ein“ ist das achte Kapitel in einer Nachricht der Tagesschau überschrieben. Und dann recht weit hinten im Buch: „Hochwasser – Fast ganz Niedersachsen steht unter Wasser“ in einer Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung. Das wirkt realistisch, könnte natürlich auch Fiktion sein. Doch die Autorin klärt im Anhang auf: „Die verwendeten Headlines sind allesamt authentisch und stammen aus den Jahren 2023/24“, schreibt sie und liefert auch gleich die Nachweise mit. Das darf einen dann in Verbindung mit dem Gelesenen schon nachdenklich machen, wenn man es nicht ohnehin bereits ist.
In Theresa Hannigs Geschichte gerät die Autorin Johanna Strohmann per Zufall in eine Straßensperre der sogenannten Letzten Generation und kommt in der Folge mit Klimaaktivisten in Kontakt. Nachdem sie zuletzt unter einer Schreibblockade gelitten hat, sieht sie im Klimawandel den Stoff für ein neues Buch. Ihre Familie, Ehemann und 14-jährige Tochter, werden im Prozess der Annäherung an die Aktivisten für Johanna immer unwichtiger. Sie selbst verliert ihre anfängliche Neutralität – aus der Beobachterin wird erst eine Sympathisantin, dann eine Mitwirkende und schließlich sogar eine treibende Kraft. Das ist dann sicher etwas, das man dem Roman vorwerfen kann: So wichtig seine Themen sind, so spannend diese präsentiert werden, so wenig glaubwürdig bleibt insgesamt die Entwicklung der Protagonistin. Vergleicht man Johannas Weg in die Radikalisierung mit dem realer Vorbilder, wie beispielsweise RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof, die einem bei der Lektüre automatisch in den Sinn kommt, geht das im Buch doch vergleichsweise schnell und nicht immer nachvollziehbar voran. Auch Theresas Familie und einige ihrer Mitstreiter kommen ein wenig wie aus dem Klischee-Baukasten daher.
Die Autorin schreibt im Nachwort von einem „schmerzhaften Prozess“, der das Schreiben für sie gewesen sei. „Die Klimakatastrophe ist die größte Krise unserer Zeit“, sagt sie auch und sorgt sich, dass heute noch friedliche und gewaltfreie Aktivisten sich in Zukunft radikalisieren könnten. Von dieser Gewalt will sie sich ausdrücklich distanzieren und hofft, „dass mein Buch als Warnung gelesen wird“. Wenn, so ihre Hoffnung, Gesellschaft und Politik den Wissenschaftlern und Aktivisten zuhören, könne man vielleicht doch noch die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Klimakatastrophe aufzuhalten.
Insofern ist „Parts per Million“ ein sehr interessantes Buch, das sich spannend lesen lässt und einige Denkanstöße vermittelt. Man muss es aber auch richtig einordnen und prinzipiell die Themen Klimawandel und notwendige Maßnahmen dagegen sowie mögliche Radikalisierung engagierter Gruppen nicht unbedingt in einen Topf werfen, sondern erst einmal getrennt denken. Tut man das nicht, schießt die Autorin mit ihrem Ansinnen leider übers Ziel hinaus und bewirkt eher das Gegenteil des von ihr Erhofften.
Theresa Hannig – Parts per Million. Gewalt ist eine Option
(Tor, 2024, ISBN 3596708915, 368 Seiten, 18 Euro)