25.01.2024, Kultur & Freizeit
Stummfilmklassiker begeistern auch nach über einhundert Jahren
Ralph Turnheim begeisterte mit seiner Live-Vertonung von Stummfilmklassikern in der Stadtbücherei.
Fotos: Stadt Walldorf
Ralph Turnheim bringt Leinwand-Lyrik in die Stadtbücherei
Die Stummfilmära ist längst vorbei, könnte man meinen. Aber nicht, wenn es nach Ralph Turnheim geht. Der Träger des deutschen Stummfilmpreises 2023 hat sich jener Gattung verschrieben, die heutzutage kaum noch jemand zu sehen bekommt. Turnheim vertont in seinen Programmen Stummfilmklassiker neu. Und das live, was zu einem echten Erlebnis wird. Davon konnten sich auch die Besucher in der Stadtbücherei überzeugen, wo Ralph Turnheim zum mit „Leinwand-Lyrik“ betitelten Abend gastierte. Im Gepäck hatte er zwei Stummfilme: „Der Mann mit dem schiefen Mund“ und „Sherlock Jr.“. Für gemütliche Kinoatmosphäre war mit Leinwand und gratis Popcorn bestens gesorgt.
Nach der Begrüßung durch Büchereileiterin Barbara Grabl legte Ralph Turnheim direkt mit dem Sherlock-Holmes-Film „Der Mann mit dem schiefen Mund“ los. Der Stummfilm aus dem Jahr 1921 beruhe auf einer Geschichte (im Original „The Man with the Twisted Lip“ von 1891), die aus der Feder des Holmes-Autoren Arthur Conan Doyle stammt. Darin machen sich Sherlock Holmes und sein Freund Dr. John H. Watson auf die Suche nach einem vermissten Mann, dessen Ehefrau ein Verbrechen vermutet. Dass dahinter aber ein raffiniertes Schauspiel samt überraschender Wendung steckt, finden die beiden Detektive erst später heraus.
Ralph Turnheim verlieh während des Films nicht nur den Darstellern seine Stimme, sondern mimte auch den Erzähler – und das Ganze in Reimform. Dazu ahmte er Geräusche wie das Quietschen und Knarren von Türen nach. Einen ganzen Film mit Schauspielensemble und Szenenwechseln als Ein-Mann-Show zu vertonen, verlangte Turnheim ein hohes Tempo ab, um die Synchronizität mit den Bildern zu halten, was ihm aber sicht- und vor allem hörbar gut gelang und auch beim Publikum gut ankam. Die Texte zu den Stummfilmen schreibe er selbst, erklärte Turnheim. Das macht deutlich: Hier ist ein Künstler mit ganzer Leidenschaft am Werk. Der zweite Film wurde nach einer kurzen Pause gezeigt. Die Besonderheit daran: „Sherlock Jr.“ wurde dieses Mal mittels Filmrolle und Projektor an die Leinwand geworfen. Das typische Rattern des Projektors verstärkte den nostalgischen Faktor, den der Stummfilm aus dem Jahr 1924 ausstrahlt. „Sherlock Jr.“ ist eine Parodie auf Sherlock Holmes, gespielt von Buster Keaton, den Ralph Turnheim als einen der Besten seines Fachs bezeichnete. Und so vertonte er erneut mit viel Hingabe die Komödie, in der Keaton als tollpatschiger Ermittler einerseits versucht das Herz seiner angebeteten Dame zu erobern, und andererseits seinem Nebenbuhler, der es mit der Wahrheit und dem Gesetz nicht so genau nimmt, auf die Spur zu kommen. Ein Teil der Geschichte findet in Holmes‘ Träumen statt und wartet mit rasanten und auch für heutige Zeiten beeindruckenden Stunts auf, darunter eine halsbrecherische Verfolgungsjagd zu Fuß, mit dem Auto und auf dem Motorrad, das zum großen Teil keinen Fahrer mehr hat.
Das sei der erste Film-im-Film gewesen und damit Vorreiter für viele nachfolgende Filme, erläuterte Turnheim, den die temporeichen Szenen bei seiner Vertonung besonders auf Trab hielten, der aber auch diese Herausforderung souverän meisterte. Das gefiel auch dem Publikum, das großen Spaß an Film und Live-Vertonung hatte und mit Applaus für den Künstler nicht sparte. Turnheim teilte im Anschluss noch sein Hintergrundwissen über die Entstehung des Films mit dem Publikum und machte daraus eine kleine Raterunde. So fragte er, wie Buster Keaton den Stunt verwirklicht habe, in dem er seinem Helfer durch den Bauch und durch den dahinterstehenden Zaun springt und anschließend verschwindet. Die Vermutungen einiger Gäste gingen zwar in die richtige Richtung, für die Auflösung musste aber dann doch Turnheim sorgen, der an dem Beispiel zeigte, wie kreativ zu jener Zeit vor allem Keaton selbst beim Film schon gearbeitet hatte.