28.09.2022, Startseite
Stürmischer Applaus für musikalisches Juwel
Das Ensemble Operone und Chor führte zusammen mit drei Solisten unter der Leitung von Timo Jouko Herrmann Peter von Winters Kantate "Pigmalione" auf.
Foto: Jan A. Pfeifer
Moderne Erstaufführung von Peter von Winters mythologischer Kantate „Pigmalione“
Mit einem ganz besonderen Musikgenuss wurde das Publikum in der zweiten Veranstaltung der diesjährigen Musiktage beglückt. In der Astoria-Halle erklang Peter von Winters mythologische Kantate „Pigmalione“ in einer modernen Erstaufführung, wahrscheinlich zum ersten Mal seit 1787. Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter der Reihe, hatte dieses zu Unrecht in Vergessenheit geratene, musikalische Juwel ausgegraben und die Edition des Notenmaterials nach der einzig erhaltenen Handschrift, die in der Bayrischen Staatsbibliothek München verwahrt wird, vorgenommen. Gefördert wurde dies durch ein Stipendium der Gesellschaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg (GMG) im Rahmen von „Neustart Kultur II“.
Das Ensemble Operone, dessen Leiter Herrmann ist, präsentierte die farbenreiche Komposition in Kooperation mit der GMG. Herrmann zeigte sich erfreut, Prof. Frieder Bernius, den Vorsitzenden der GMG, in Walldorf begrüßen zu können, der dankenswerterweise „Pigmalione“ in die Reihe „Musikschätze Baden-Württemberg“ aufgenommen hat. Leider musste Herrmann verkünden, dass Sopranistin Miriam Burkhardt wegen einer Zahn-Operation nicht singen konnte. Für sie sprang kurzfristig Ulrike Kristina Haerter ein, die sich das unbekannte Notenmaterial innerhalb von nur einer Woche erarbeitete.
Grundlage der Handlung der Kantate ist die Pygmalion-Erzählung aus Ovids „Metamorphosen“ nach einer Textvorlage von Jean-Jacques Rousseau. Der Bildhauer Pygmalion erschuf die Marmorstatue der Galatea, die so schön war, dass er sich unsterblich in sie verliebte. Seine Liebe blieb natürlich unerwidert und Pygmalion wurde von Liebesqualen gemartert. Aber einem glücklichen Ende stand nichts im Wege, denn die Göttin Venus erweckte die leblose Statue zum Leben.
Die Kantate ist groß angelegt und verlangt eine umfangreiche Anzahl an Mitwirkenden. Neben dem groß besetzten Orchester, das neben Streichern aus doppelt besetzten Holzbläsern, drei Clarinetti d‘amore (Bassetthörner) und Hörnern besteht, sind ein Chor und drei Solisten vorgesehen. Tenor Joshua Whitener hatte die umfangreichste Rolle und gab den Pygmalion, die Sopranistinnen Miriam Burkhardt und Ulrike Kristina Haerter sangen die Galatea und die Venus.
Schwungvoll und heiter erklang die Ouvertüre. Der hervorragende Klangkörper, erfahren in der historischen Aufführungspraxis, musizierte unter Herrmanns engagiertem Dirigat wundervoll transparent und filigran sowie mit fein differenzierter Dynamik. Die Musizierfreude war den Musikerinnen und Musikern deutlich anzusehen. In der Cavatine „Come soffrir potrei“ besang Whitener die Qualen Pygmalions mit seiner klangvollen, tragenden Stimme. Der Chor fungierte als Gruppe befreundeter Künstler. Gesungen wurde auf Italienisch. Eine Übersetzung der Texte wäre wünschenswert gewesen. Im Programmheft gab es aber zumindest eine kurze Zusammenfassung des Geschehens. Als sich Pygmalions Qualen vermehrten, schickte er seine Künstlerfreunde voller Wut fort. Er steigerte sich in den Wahn hinein, mit Galatea das Abbild der perfekten Frau erschaffen zu haben, und fühlte sich zwischen Wahn und Wirklichkeit hin- und hergerissen. Musik und Gesang steigerten sich dramatisch. Whitener wusste der konzertanten Aufführung mit Mimik und Gestik eine szenische Note zu verleihen.
Als Pygmalion glaubte, sterben zu müssen, bat er eindrucksvoll die Göttin Venus um Hilfe. Ganz außergewöhnlich ist das nur von drei Bassetthörnern begleitete Gebet an Venus. Das Orchester glänzte immer wieder mit kleinen Zwischenmusiken. Warm-klingende Hörner, hervorragende Holzbläser und präzise Streicher erschufen ein farbenreiches Tongemälde. Winter zeigt vor allem in den Accompagnato-Rezitativen deutliche Einflüsse von Christoph Willibald Gluck. Besonders auffällig sind die sehr feinsinnig eingesetzten Bläserfarben, was auf die einstige „Mannheimer Schule“ mit ihren hervorragenden Bläsern hinweist. Der 1754 in Mannheim geborene Winter war Mitglied und Kapellmeister des Mannheimer Orchesters, das 1779 mit dem Kurfürsten nach München umgezogen war.
Mit der Erweckung der Galatea endet die Textvorlage Rousseaus. Winter lässt die Schöne nun auch in Liebe zu Pygmalion entflammen, wobei ihr diese Gefühle zunächst noch fremd sind. In der Arie „Se al cor risponde il labbro“ drückte Miriam Burkhardt dies vortrefflich aus. Mit ihrer strahlenden, reinen und warmen Stimme bezauberte sie das Publikum. Wonnetrunken besangen Galatea und Pygmalion im Duett „Ah, che d‘amore io sento“ ihr Glück. Plötzlich erschien die Göttin Venus und erklärte die Leiden Pygmalions für beendet. In einer brillanten Koloraturarie im Duett mit einer Solo-Klarinette begeisterten Sopranistin Ulrike Kristina Haerter und Klarinettistin Laura Kettenring das Publikum restlos. Virtuos meisterten beide Künstlerinnen ihren anspruchsvollen Part und harmonierten bestens miteinander. Leicht und scheinbar mühelos bewältigte Haerter auch höchste Höhen. Mit ihrer schlank geführten lyrischen Sopranstimme sowie ihrer ganzen Erscheinung gab sie eine vortreffliche Venus ab.
In einem Epilog (Licenzia) wurde einer erlauchten Jubilarin namens Anna gehuldigt. Zusammen mit Chor und Orchester setzten die Solisten in ihrem Funken sprühenden Terzett einen grandiosen Schlusspunkt unter diese wiederentdeckte Kantate. Mit stürmischem Applaus und Bravo-Rufen drückte das Publikum am Ende seine Begeisterung aus.
Carmen Diemer-Stachel