26.07.2024, Startseite

Stehende Ovationen fürs Sinfonieorchester

Das SAP Sinfonieorchester löste mit seinem Crossover-Konzert "Hitparade meets Classic" in der Astoria-Halle wahre Begeisterungsstürme aus.
Foto: Stadt Walldorf

Großartiges Hospiz-Benefizkonzert unter dem Motto „Hitparade meets Classic“

„The Final Countdown“, 1986 ein Nummer-eins-Hit der schwedischen Band Europe, ist einer der Songs, bei denen die Verbindung aus klassischem Orchester und Rockmusik am besten funktioniert. Das Pompöse der Musik und vor allem das fanfarenartige Keyboard-Riff des Originals mit seinem hohen Wiedererkennungswert, dazu die von Bowies „Space Oddity“ inspirierte, episch anmutende Geschichte einer Reise durchs Weltall – diese Kombination fordert die ganze Wucht der orchestralen Begleitung förmlich heraus. Für das SAP Sinfonieorchester unter der Leitung von Markus Neumeyer ist das Stück damit die ideale erste Zugabe beim Benefizkonzert für den Förderverein Hospiz Agape in der Astoria-Halle. Solist Sascha Kleinophorst singt die Nummer mit viel Schmackes, aus der begleitenden Rockband meldet sich die Gitarre mit einem prägnanten Einsatz. Und das Publikum, das die 900 Stühle bis auf wenige leere Plätze fast vollständig füllt, tobt vor Begeisterung.

„Ein großartiger Anblick“, freut sich Daniel Kahn, Vorstandsmitglied des Fördervereins Hospiz Agape, schon in seiner Begrüßung der vielen Menschen in der Astoria-Halle. Er sei „sehr berührt vom Zuspruch und der fortwährenden Unterstützung“ der Hospiz-Idee, sagt er. Sein Dank gilt den Besucherinnen und Besuchern, vor allem aber dem Orchester, dessen Dirigenten, Geschäftsführer Christian Stumpf und den Solisten des Abends. Dem kann sich Bürgermeister Matthias Renschler gerne anschließen und fügt noch den Förderverein sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hospiz an, die tagtäglich „keine leichte Aufgabe“ stemmen. Hatte sich der Hausherr im vergangenen Jahr nach der damals wetterbedingten Verlegung in die Halle noch mit einem humorvollen Schlenker für die defekte Lüftung entschuldigen müssen, freut er sich jetzt: „Die Klimaanlage funktioniert, dieses Mal haben wir keine Hallenbad-Atmosphäre.“ Als See-Konzert im AQWA, wie zuletzt 2022, konnte die Benefizveranstaltung wegen der dortigen Baustelle leider nicht stattfinden. Vielleicht klappt es mit der Rückkehr im kommenden Jahr.

Experten sagen, in der Halle ist der Sound ohnehin besser als open air. Ein erstes Beispiel dafür liefert die Ouvertüre zu Georg Friedrich Händels 1749 uraufgeführter Orchestersuite „Feuerwerksmusik“, die feierlich und getragen erklingt. Ironischerweise dominieren zunächst die Streicher, die sich der Auftraggeber, König George II. von England, ursprünglich verbeten hatte, weil er sich ausschließlich Militärinstrumente wünschte. Händel lieferte wie gewünscht, komponierte die Streicherstimmen in einer zweiten Version aber dennoch mit. Als sich in der Astoria-Halle die Blasinstrumente zu ihnen gesellen, lässt sich das mächtige Klangvolumen des SAP Sinfonieorchesters schon früh am Abend erahnen.

Der gut gelaunte Orchester-Geschäftsführer und Moderator Christian Stumpf verspricht „ein Programm, das Sie überraschen wird“. „Hitparade meets Classic“ lautet das Motto des Crossover-Konzerts und wer unweigerlich an das ZDF-Format der siebziger und achtziger Jahre mit Dampfplauderer Dieter Thomas Heck denken muss, wird tatsächlich – positiv – überrascht. Statt deutscher Schlager besteht der populärmusikalische Teil des Repertoires weitgehend aus internationalen Hits. Das Schlagwerk leitet „You’re the Voice“ ein, 1986 ein Erfolg für den australischen Sänger John Farnham. Rockband, Streicher und Bläser setzen ein, Sascha Kleinophorst singt – mit ihrem Pathos und dem lang gezogenen „oh“ im Refrain eignet sich auch diese Nummer perfekt für die mächtige Untermalung mit Orchesterklängen. Der Lohn ist stürmischer Applaus, das Publikum ist schon beim zweiten Titel des Abends aus dem Häuschen.

Rock- und Pophits fürs Orchester zu arrangieren ist eine keineswegs leichte Aufgabe, wie Stumpf später am Abend erzählt und den dafür zuständigen Michael Strecker lobt. Dass man sich dabei auch pfiffige Einfälle erlauben darf, beweist Gerry Raffertys „Baker Street“ (1978). Natürlich warten die Zuhörer auf das charakteristische, in der damaligen Rockmusik etwas überstrapazierte Saxofon – und sie bekommen erst einmal Trompeten, ehe das gesamte Gebläse mit großer Vehemenz einsetzt. Im Kontrast dazu singt Kleinophorst jetzt einen Tick sanfter als zuvor, die Streicher tragen seine Stimme durch die erste Strophe und bleiben auch nach dem Bläsereinsatz sanft wie eine milde Sommerbrise. Nicht fehlen darf ein kurzes, aber auf den Punkt geliefertes Gitarrensolo.

Der dritte Satz des Trompetenkonzerts E-Dur von Johann Nepomuk Hummel (1803) gibt dann der ersten Trompeterin Iris Heber die Gelegenheit zu glänzen. Das humorvoll-verspielte Hauptthema beginnt unbegleitet, das Stück bleibt auch mit Orchester heiter und beschwingt. „Das ist anstrengend zu spielen“, zollt Moderator Stumpf der Solistin seinen Respekt. Der gebührt ebenfalls der klassisch ausgebildeten Sopranistin Kerstin Bauer, die immer wieder auch als Rock- und Popsängerin überzeugt. Mit „Kuschelrock“ sind ihre ersten Auftritte überschrieben: Andrea Bocellis „Vivo per lei“ (1995) meistert sie im Duett mit Kleinophorst – der bewusste Hang zum überbordenden Kitsch kann ja auch mal Freude bereiten, die beiden Stimmen erklingen mit viel Pomp und Schmelz. Romantisch wird es mit der Celine-Dion-Version der Jim-Steinman-Powerballade „It’s all coming back to me now“ (1996), in der Kerstin Bauer auch die Nuancen mühelos meistert – hier passenderweise mehr mit dem Ansatz der Opernsängerin als der Rockröhre. Als wirkungsvolle Backgroundsänger sind Paul Nadler, Chiara Kilchling und Anastasia Badurivska dabei, die alle Gesang an der Pop-Akademie in Mannheim studieren. Das Orchester darf sich im Finale von Chicagos „Hard to Say I’m Sorry“ (1982) austoben, das die Softrock-Pfade verlässt und jazzige Klänge einstreut. „Dieses Gedengel am Schluss wird im Radio immer ausgeblendet“, freut sich Dirigent Neumeyer über die originell aufgewertete Version „einer der größten Schnulzen, die es gibt“.

Noch vor der Pause geht es mit „Far From Over“ (aus „Staying Alive“, 1983) zur Filmmusik und mit „Somewhere over the Rainbow“ (aus dem „Zauberer von Oz“, 1939) auf Reise mit Dorothy – das Orchester beschwört den Klang der märchenhaften Geschichte von L. Frank Baum perfekt herauf. Nach der kurzen Unterbrechung ist das wie auf Bestellung direkt mitklatschende Publikum bei Jacques Offenbachs „Can-Can“ aus der Oper „Orpheus in der Unterwelt“ (1858) sofort wieder auf Betriebstemperatur – ein fröhlich-beschwingter Start in die zweite Hälfte. Und es bleibt heiter: „Always Look on the Bright Side of Life“ (1979) animiert zum Mitsingen und sogar -pfeifen, das Stück lässt auch ohne Kreuze als Bühnendekoration Bilder aus dem Film „Das Leben des Brian“ entstehen – zuckersüße Musik zu einem vor dem Hintergrund der passenden Filmszene bitterbösen Text. „Nicht die Geigenbögen kreuzen“, hätte die Aufforderung beim folgenden „Ghostbusters“ (1984) aus dem gleichnamigen Film lauten können, in dessen mitreißender Version die Percussion geschmackvoll zur Geltung kommt.

Michael Jacksons unverwüstliche „Billie Jean“ (1982) und das ruhige, den Puls wieder senkende „Nimrod“ aus Edward Elgars „Enigma-Variationen“ (1898) führen zu einem Anastacia-Special hin. Die US-Sängerin war bei der Verabschiedung von SAP-Aufsichtsratchef Hasso Blattner im Mai bei ihrem Auftritt in der SAP-Arena vom Sinfonieorchester begleitet worden – drei der Titel wurden jetzt mit Kerstin Bauer, mehr als nur Ersatz fürs Original, präsentiert: die Powerballade „You’ll never be Alone“ (2002), das flotter rockende und eifrig mitgeklatschte „I’m outta Love“ (2000) und das gleichfalls mit viel Applaus bedachte „One Day in your Life“ (2002).

Zum Abschluss wird’s dann doch noch deutsch: „Solange man Träume noch leben kann“ (1987) der Münchner Freiheit ist bei aller Nostalgie dann doch ein Stück zu kitschig, der „Skandal im Sperrbezirk“ (1981) der Spider Murphy Gang offenbart ganz andere Abräumerqualitäten – klasse. Das gilt auch für die zweite Zugabe, „Tage wie diese“ (2012) der Toten Hosen, die allseits beliebte Stimmungshymne der längst gutbürgerlichen Ex-Punks – Kerstin Bauer und Sascha Kleinophorst singen im Duett, das Orchester schwingt sich zu einer letzten Energieleistung empor. Die stehenden Ovationen beweisen: Das Finale ist wie das ganze Konzert absolut gelungen.

Info: Das SAP Sinfonieorchester wird vor seinem Auftritt in der Hamburger Elbpharmonie eine öffentliche Generalprobe am Dienstag, 10. September, in der Astoria-Halle abhalten, der Hospiz-Förderverein übernimmt die Bewirtung. Das Neujahrskonzert in Walldorf findet am Sonntag, 12. Januar 2025, statt. Und das Hospiz Agape in Wiesloch sowie das neue Tageshospiz im selben Gebäude laden zum Tag der offenen Tür am Samstag, 9. November.