18.02.2024, Startseite
Starkes Zeichen für Demokratie und Vielfalt
Mehr als 2000 Menschen haben sich an der Kundgebung unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt" beteiligt.
Foto: Helmut Pfeifer
Mehr als 2000 Menschen beteiligen sich an der Kundgebung für eine bunte Gesellschaft
„Mit der heutigen Demonstration setzen wir gemeinsam ein starkes Zeichen für eine gerechte, für eine bunte und menschenfreundliche Gesellschaft, für Demokratie, Menschlichkeit und Vielfalt“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler im Namen der Stadt, des Gemeinderats und ganz persönlich. Er fährt unter großem Beifall fort: „Wir beziehen gemeinsam unmissverständlich Stellung und erheben unsere Stimmen gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung, gegen Intoleranz und Vorurteile, gegen Hass und Rassismus, gegen Diskriminierung und Gewalt. Walldorf ist eine weltoffene, eine bunte Stadt mit Einwohnerinnen und Einwohnern unterschiedlichster Herkunft.“
Als die ersten Demonstranten vor dem Astorhaus eintreffen, ist noch nicht zu erahnen, wie viele es am Ende werden sollen: Über 2000 Menschen nehmen an der Demonstration unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ und mit dem Titel „Walldorf solidarisch gegen rechts – für eine bunte und menschenfreundliche Gesellschaft“ teil, so die Zählung der Polizei. Das sind deutlich mehr als die 400 Teilnehmer, die die Vernetzungsgruppe Walldorf als Veranstalter angemeldet hat. Sowohl die Verantwortlichen als auch die Redner bei der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz zeigen sich beindruckt, dass so viele Menschen auf die Straße gehen.
Der Bürgermeister spricht an, dass die Vernetzungsgruppe binnen weniger Tage aus Walldorfer Vereinen, Gruppen, Organisationen und Firmen mehr als 70 offizielle Unterstützer zusammenbekommen habe. Renschler erinnert an den Anlass für die bundesweiten Demonstrationen gegen rechts: die Pläne rechter Akteure, Millionen von Menschen aus Deutschland auszuweisen. Der Gemeinderat und er selbst „verurteilen auf das Schärfste“ die Forderungen nach einer sogenannten „Remigration“, sagt der Bürgermeister. „Solches Gedankengut erinnert in fataler Weise an den Nationalsozialismus von vor rund 90 Jahren mit seinen ungeheuerlichen, schrecklichen Folgen.“
„Die Grundwerte unserer Gesellschaft müssen bewahrt bleiben. Wir stehen gemeinsam ein für die Menschenrechte und für ein harmonisches Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen“, sagt Renschler. Er nennt rassistische Übergriffe, Hasskommentare im Internet und eine wachsende Kluft zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen als „Beispiele für die Bedrohung unserer demokratischen Werte“ und spricht die Anfeindungen gegenüber jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern an. „Nie wieder ist jetzt – Antisemitismus darf keine Chance haben“, sagt der Bürgermeister. Gemeinsam habe man die Möglichkeit, eine Gesellschaft „ohne Vorurteile, ohne Hass, ohne Hetze“ zu gestalten. Rechtsextremismus und Ausgrenzung haben nach seinen Worten „bei uns keinen Platz“. Renschler fordert: „Lassen Sie uns weiter gemeinsam für Toleranz, für Respekt und für Gerechtigkeit einstehen.“
Was die Menschen seit Wochen und nun auch in Walldorf auf die Straßen treibt, ist auf vielen Plakaten sichtbar. Mal direkt wie „Hass ist keine Meinung“ oder „Meine Welt ist bunt“, mal kreativ wie „Physiker gegen Spaltung“. Beim Start am Astorhaus ist die Stimmung ausgelassen, fröhlich, viele Menschen fallen sich zur Begrüßung in die Arme, tauschen Transparente aus, machen Fotos. Von einem Wagen wird laute Musik gespielt, unter anderem ist der „Schrei nach Liebe“ der Ärzte zu hören. „Wir sind eine bunte und offene Gesellschaft“, macht Pfarrer Dr. Uwe Boch in seiner Begrüßung deutlich, worum es geht. „Der Faschismus hat in diesem Land und in Walldorf keinen Platz“, sieht er das freiheitliche und demokratische Miteinander gefährdet sowie Grenzen in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung überschritten. Dagegen müsse man nun „ganz klar Stopp“ sagen.
Der Pfarrer freut sich auch über die „wilde Mischung“ an Menschen, die sich versammelt hat, Jung und Alt, Linke und Konservative, Vereine, Unternehmen, Kirchen, Moscheen, Demonstrationserfahrene und -neulinge. Eltern und Großeltern sind mit Kindern und Enkelkindern an der Hand dabei, manche haben Vereinswappen oder Parteilogo auf der Kleidung, dem Transparent oder der Fahne. Viele Gemeinderäte sind dabei, die Verwaltungsspitze mit Bürgermeister Matthias Renschler und dem Ersten Beigeordneten Otto Steinmann, aus dem Bundestag Dr. Jens Brandenburg (FDP), aus dem Landtag Norbert Knopf (Bündnis 90/Die Grünen) und Christiane Staab (CDU). Gemeinsam marschieren sie über die Nußlocher Straße und Drehscheibe in Richtung Marktplatz. Angeführt wird der Zug von Vertretern der Vernetzungsgruppe, die ein großes Transparent mit dem Titel der Demonstration vor sich her tragen. Passanten bleiben spontan stehen, schauen neugierig, fragen im Vorbeilaufen, worum es geht, oder zücken Handys, um die Szenen festzuhalten. Polizei und Rotes Kreuz bestätigen später: Es bleibt friedlich, besondere Vorkommnisse sind nicht zu vermelden.
Für die Vernetzungsgruppe nennen auf dem Marktplatz Melanie Herrmann und Johanna Krämer die AfD als Triebfeder der Pläne einer „Remigration“ und bescheinigen ihr eine „menschenverachtende Ideologie“. „Wir alle sind aufgerufen, der rechten Hetze unmissverständlich entgegenzutreten“, sagen sie. Denn: „Die AfD ist mit ihrer populistischen Hetze, ihrem rassistischen, menschenverachtenden und völkisch-nationalistischem Gedankengut weiterhin die größte Gefahr für unsere Demokratie.“ Sie arbeite „nahezu unverschleiert“ mit Akteuren der Nazi-Szene zusammen. Ähnlich drückt es Andy Herrmann für die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA Kreisvereinigung Heidelberg) aus: „Die AfD ist eine rassistische, völkisch-nationalistische Partei, in der Verschwörungsmythen, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorherrschen.“ Er wünsche sich „eine klare Abgrenzung“ und einen konsequenteren Umgang: „Keine Toleranz für die Feinde der Menschenrechte“, so Herrmann. Dass auch junge Menschen „mehr Demokratie wagen“ wollen, macht Jannis Romann von der SMV des Gymnasiums als Sprecher einer Gruppe deutlich, die in Walldorf wieder einen Jugendgemeinderat ins Leben rufen will. Kinder und Jugendliche seien in vielen Entscheidungen unterrepräsentiert. „Wir brauchen unseren Anteil an der Demokratie“, sagt Romann.
Zu Beginn der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz spielt der evangelische Posaunenchor unter anderem „Bella Ciao“ und bezieht mit Plakaten wie „tuten für die Demokratie“ Stellung. Der Walldorfer Musiker Sten bringt die Menschenmenge mit „Blowing in the Wind“ zum Mitsingen. Daniel Hofmann, Johannes Lazarus, Joel Maschio und Lukas Schuppel, die sich im Vorfeld spontan zu einer Band formiert haben, spielen ein altes Lied der Toten Hosen: „Willkommen in Deutschland“ reiht sich thematisch in das Motto der Demo genauso ein wie der Song „33 nach 12“, den Daniel Hofmann extra für die Veranstaltung geschrieben hatte und in dem er vor dem Erstarken des Faschismus warnt. „Ihr habt noch lange nicht gewonnen“, lautet eine der klaren Botschaften, die sich an Menschen mit rechtsextremen Gedankengut richtet – nach der überwältigenden Resonanz auf die Demonstration in Walldorf sicher eine ermutigende Prognose dank eines starken Zeichens der Walldorfer Zivilgesellschaft.