06.11.2024, Startseite

Stadt will Kreisstraße übernehmen

Um gegen die bekannte Poser- und Raser-Problematik vorgehen zu können, hat der Gemeinderat jetzt mehrheitlich einen Antrag an den Rhein-Neckar-Kreis beschlossen, dass die Stadt Walldorf die Straßenbaulast des innerstädtischen Teils der Kreisstraße 4256 übernehmen kann.
Foto: Stadt Walldorf

Ziel ist mehr Verkehrssicherheit – Mit Rechten kämen auch Pflichten

„Es gibt viel Unmut in der Öffentlichkeit über die Situation“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler. „Aber wir sind nicht untätig, nur weil die alle ablehnen.“ Mit „die“ meint der Bürgermeister das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises, das Thema ist die Verkehrssicherheit in der Stadt, speziell auf der durch Walldorf führenden Kreisstraße. „Wir haben auf der K4256 ein Geschwindigkeitsproblem“, erläutert Alena Müller, die Leiterin des Fachbereichs Ordnung und Umwelt. Der dort zuständige Landkreis sei leider „sehr zurückhaltend, was Kontrollen angeht“, Hilfsangebote der Stadt – mit eigenen Geräten im Auftrag des Kreises zu „blitzen“ – seien mehrfach abgelehnt worden.

Die Lösung, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen und gegen die bekannte Poser- und Raser-Problematik vorgehen zu können: Der Gemeinderat hat jetzt mehrheitlich einen Antrag an den Rhein-Neckar-Kreis beschlossen, dass die Stadt Walldorf die Straßenbaulast des innerstädtischen Teils der Kreisstraße 4256 übernehmen kann. Würde der Kreis der Übertragung zustimmen, könnte die Stadt die notwendigen Geschwindigkeitskontrollen selbst durchführen. „Das ist heute nur der Antrag“, macht Alena Müller deutlich, dass dem Vorstoß der Stadt noch einige Schritte folgen müssen, bis es tatsächlich so weit sein könnte. „Sollte das Landratsamt zustimmen, müssten die Konditionen ausgehandelt werden“, sagt die Fachbereichsleiterin mit Blick darauf, dass neben dem Recht zur Geschwindigkeitsüberwachung auch Pflichten auf die Stadt zukommen würden – nämlich die Unterhaltungskosten für die vergleichsweise stark befahrene Straße. Über deren Zustand weiß man wenig, die in den kommenden Jahren notwendigen Ausgaben würden wohl auch durch eine mögliche Entschädigungszahlung des Kreises nicht abgedeckt.
Die K4256 beginnt auf der Walldorfer Gemarkung an der Grenze zu Nußloch mit der Brücke über die Bahntrasse der Deutschen Bahn und führt über ein Rampenbauwerk zum Kreisverkehr an der Nußlocher Straße. Der 1,8 Kilometer lange innerstädtische Teil, um den es im Antrag der Stadt geht, führt vom Ortseingang über die Nußlocher Straße in einen Teilabschnitt der Johann-Jakob-Astor-Straße und zur Drehscheibe. Über den Ovalkreisel geht es in die Bahnhofstraße zum Kreisverkehr am Nahversorgungszentrum und in die Wieslocher Straße bis zum Mühlweg-Kreisel. Dort führt die Straße nach Süden abknickend an die L723.

Wie aus der Verwaltungsvorlage zur Sitzung hervorgeht, beschäftigt die Verkehrssicherheit der K4256 die Stadt schon seit einigen Jahren. So wurde bereits 2017 bei einer Messung festgestellt, dass sich 15 Prozent der Verkehrsteilnehmer nicht an die damaligen 50 km/h hielten, teilweise mit Überschreitungen bis zu 110 km/h. Aktuelle Messungen bestätigen das. 2019 hatte die Stadt dem Kreis erstmals eine „unentgeltliche Geschwindigkeitsmessung unter Überlassung aller Einkünfte“ angeboten – das wurde wiederholt abgelehnt. Aus Sicht der Stadt wurden die Kontrollen des Kreises nicht im notwendigen Umfang durchgeführt, nur sehr unregelmäßig und nie nach 22 Uhr. Der Kreis sieht dagegen nur „geringe Überschreitungsquoten“ und „an der gesamten Strecke keine Unfallhäufung“, wie es in einem Schreiben an die Stadtverwaltung heißt. Auf die Unterstützung der Stadt will man nicht zurückgreifen, weil man darin eine Ungleichbehandlung sieht: Andere Kommunen hätten nicht dieselben Möglichkeiten wie Walldorf. Der schwere Unfall im März – als ein Autofahrer mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit ein anderes Fahrzeug rammte, die Kontrolle verlor, ein Straßenschild, einen Baum, ein Schaufenster und mehrere Hauswände beschädigte – ist in der Betrachtung des Kreises eine Ausnahme. Es gebe „keine Auffälligkeit in Bezug auf geschwindigkeitsbedingte Unfälle“, ist im Schreiben zu lesen.

Die „unhaltbaren Verkehrszustände“ mit „ständiger Raserei, insbesondere nach 22 Uhr“ seien der CDU „ein Dorn im Auge“, sagt Uwe Lindner. „Das Maß an Gesundheitsgefährdungen ist längst überschritten, die Verkehrssicherheit ist durch den Rhein-Neckar-Kreis seit Jahren nicht mehr gewährleistet.“ Seine Fraktion könne mit dem Antrag mitgehen, so Lindner, dennoch müsse man auch die „Unwägbarkeiten“ sehen. Mit der Straßenübernahme „könnten Investitionen verbunden sein“. Über diese wolle man vor der endgültigen Entscheidung möglichst genau informiert werden.

„Wir sprechen über eine unendliche Geschichte“, sagt Dr. Andrea Schröder-Ritzrau (SPD) und fordert „eine eindeutige, möglichst gemeindehoheitliche Lösung“. So habe ihre Fraktion mehrfach versucht, „im Sinne der Anwohner“ Tempo 30 in der gesamten Nußlocher Straße durchzusetzen. „Wir müssen die Lärmbelastungen und überhöhten Geschwindigkeiten in den Griff kriegen“, erklärt sie. Auch die SPD mache aber ihre finale Zustimmung von den Konditionen abhängig, sei man als Stadt dann doch nicht nur „Herrin über die Geschwindigkeitskontrollen“, sondern auch „Trägerin der finanziellen Lasten“. Wie kontrovers das die Fraktion intern diskutiert hat, zeigt die abweichende Meinung von Manfred Zuber: „Ich bin von der Vorgehensweise nicht überzeugt“, dürfe man den Landkreis nicht aus seiner Verantwortung lassen. Dessen Ablehnung einer Unterstützung durch die Stadt findet er gleichwohl „unmöglich“. Trotzdem sei die Übernahme der Straße, auch aus Kostengründen, für ihn „die letzte Option“.
„Für uns spielt das Thema Verkehrssicherheit die entscheidende Rolle“, unterstützt Paula Glogowski für die FDP den Antrag und spricht von einer „untragbaren Gefährdung“. Sie höre immer wieder, „dass die Stadt eingreifen muss“. Problem sei aber „die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Landratsamts“, die „zu Lasten der Sicherheit der Bürger“ gehe. Nach dem jetzt beschlossenen Antrag muss auch aus ihrer Sicht im Vorfeld einer möglichen Übernahme eine „genaue Untersuchung des baulichen Zustands“ erfolgen. Und der Gemeinderat müsse sich dann noch einigen, „welche konkreten Maßnahmen“ er umsetzen wolle.

Jeder habe schon selbst erlebt, wie auf dieser Straße gefahren werde, sagt Wilfried Weisbrod (Bündnis 90/Die Grünen). Die Zahl der Verstöße sei „eklatant hoch“, seitens der Kommune habe es zahlreiche Versuche gegeben, daran etwas zu ändern. Noch gebe es aber viele offene Fragen, so Weisbrod, etwa, ob der Kreis überhaupt bereit ist, „diese Straße an uns abzugeben“. Dann gehe es darum, „welchem finanziellen Risiko wir uns aussetzen“, müssten die Unterhaltungskosten verifiziert werden. Die Hoffnung, vom Rhein-Neckar-Kreis eine Entschädigungszahlung zu erhalten, „können Sie knicken“, meint Weisbrod und prophezeit: „Es wird keinen Pfennig geben.“ Dennoch plädiert er für die Übernahme: „Dann können wir überall Tempo 30 machen und haben die Verkehrsberuhigung, die wir schon lange wollen.“

Mihriban Gönenç unterstützt für die Wählerinitiative Zusammen für Walldorf den Antrag. Die Geschwindigkeitsüberschreitungen seien „ein großes Thema“, mit einer Übernahme der Straßenbaulast hätte die Stadt die Möglichkeit, selbst Maßnahmen zu ergreifen. Christian Schick (SPD) bittet abschließend die Verwaltung, auch weiter zweigleisig zu fahren und sich nicht allein darauf zu verlassen, die Straße irgendwann übernehmen zu können. Das sichert der Bürgermeister zu. Der Antrag wird am Ende bei drei Enthaltungen von Manfred Zuber, Christian Schick (beide SPD) und Dr. Gerhard Baldes (CDU) beschlossen. Jetzt wartet Walldorf gespannt auf die Reaktion des Landkreises.