07.11.2023, Startseite
Römische Geschichte zum Greifen nah
Bürgermeister Matthias Renschler (li.) und Stadtbaumeister Andreas Tisch vor den aktualisierten Informationstafeln, die auf die Geschichte der Römisch-Kaiserlichen Domäne eingehen.
Foto: Stadt Walldorf
Informationstafeln zur Römisch-Kaiserlichen Domäne aktualisiert
Die Region um Walldorf stand wie weite Teile des nördlichen Baden-Württembergs für etwa 200 Jahre – von circa 70 bis etwa 275 nach Christus – unter direktem römischem Einfluss. Auf der heutigen Gemarkung der Astorstadt befand sich ab dem ersten Jahrhundert nach Christus eine sogenannte Römisch-Kaiserliche Domäne. Diese Villa rustica war ein großes Landgut, das mit vier Hektar umfriedeter Hoffläche zu den größten landwirtschaftlichen Anwesen der Römer in Südwestdeutschland gezählt hat. Heute sind die Eckpunkte der Anlage mit vier Pylonenmasten am Rand von Walldorf-Süd und im Industriegebiet markiert.
Auf dem neusten Stand sind seit Kurzem alle Informationstafeln, die Funde und Gesamtanlage dokumentieren. Am ehemaligen Standort des Magazingebäudes, unweit des Mühlweg-Kreisels direkt neben der L723 gelegen, werden die wesentlichen Informationen über das Landgut an einem zentralen Info-Punkt dargestellt. An dieser Stelle sind auch nachempfundene Grundmauern zu sehen. „Wir haben die Tafeln in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt erneuert und auch inhaltlich überarbeitet“, sagt Stadtbaumeister Andreas Tisch bei einem Vor-Ort-Termin mit Bürgermeister Matthias Renschler. Außerdem werden die neueren Funde aus den archäologischen Grabungen, die im Zug der Erschließung des zweiten Bauabschnitts von Walldorf-Süd bis März 2019 vorgenommen wurden, jetzt auf einer zusätzlichen Tafel an dieser Stelle und am Rande des Neubaugebiets ergänzend gezeigt.
Zu diesen Funden im Gebiet außerhalb der eigentlichen Domäne gehören neben eher typischen Gegenständen wie Ziegeln und keramischen Gefäßen (Reibschalen, Schüsseln, Krüge, Amphoren und Terra sigillata) als außergewöhnliche Stücke auch drei Bronzegefäße: ein Sieb zum Dekantieren von Wein, ein 17 Zentimeter hohes Weinmischgefäß und ein in mehrere Teile zerbrochener Kessel. Der Schädel eines 50 bis 60 Jahre alten Mannes konnte durch die Radiokarbonmethode in den Zeitraum Mitte zweites bis Mitte drittes Jahrhundert nach Christus datiert werden. Allgemein zeigt das Fundmaterial, dass das Gebiet auch noch in nachrömischer Zeit im dritten bis vierten Jahrhundert nach Christus besiedelt gewesen ist, nachdem die Domäne bereits aufgegeben worden war.
Die erneuerten Tafeln informieren unter anderem darüber, dass das römische Landgut durch Grabungen in den Jahren 1995, 2001 und 2002 (im Zug der damaligen Verlegung der L723) zu Tage getreten war. Funde aus der Römerzeit hatte es aber schon früher auf Walldorfer Gemarkung gegeben. Die Villa rustica lag unmittelbar an der römischen Ost-West-Verbindung von Speyer zum Limes. Die Größe und Ausstattung des Anwesens sprechen aus Sicht der Experten für eine Deutung als Staatsbetrieb, eine sogenannte Domäne, die Aufgaben für die Sicherung der Truppenversorgung am Limes übernahm. Nachdem das Hauptgebäude zunächst nur in Fachwerkbauweise errichtet worden war, wurde die Anlage im fortgeschrittenen zweiten Jahrhundert repräsentativer gestaltet: mit einem in Stein erbauten neuen Hauptgebäude, das zusammen mit dem südöstlich gelegenen Verwaltungsgebäude von mindestens 50 Metern Länge einen zentralen Hofplatz umfasste. Die Speicherbauten, in denen Vorräte wie Getreide und Flachs gelagert wurden, waren außergewöhnlich groß, was auf einen staatlichen Betrieb hinweist. Gefunden wurden auch die Überreste von Brunnen und Kalkbrennöfen.
Die Experten gehen davon aus, dass die Römisch-Kaiserliche Domäne damals kein gewaltsames Ende gefunden hat, sondern mit dem Rückzug der römischen Truppen und der Rückverlegung des Limes an den Rhein um 259/260 – womit die mutmaßliche Funktion der Domäne auch ihren Zweck erfüllt hatte – eine planmäßige Räumung der Anlage vorgenommen wurde.