28.06.2024, Startseite

Neue Grundsteuer als „gefühlte Ungleichbehandlung“

Informationsveranstaltung der Stadt Walldorf zur Grundsteuerreform: (v.li.) Kämmerer Boris Maier, Referent Prof. Dieter Brettschneider, Bürgermeister Matthias Renschler und Erster Beigeordneter Otto Steinmann.
Foto: Helmut Pfeifer

Prof. Dieter Brettschneider stellt die Reform und ihre Auswirkungen vor

„Diese Reform betrifft jeden“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler am Anfang der Informationsveranstaltung in der Astoria-Halle über ein „hoch spannendes, hoch komplexes Thema“, das landesweit schon für viel Aufregung gesorgt hat. Um die Bürgerinnen und Bürger mit allem Wissenswerten zur Grundsteuerreform zum 1. Januar 2025 zu versorgen, hat die Stadt Prof. Dieter Brettschneider als kompetenten Referenten gewinnen können. Brettschneider ist als Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl in den Bereichen kommunales Wirtschaftsrecht und Abgabenrecht tätig. Sein Versuch, das brisante Thema „so neutral wie möglich“ anzugehen, gelingt – gut verständlich und unaufgeregt fasst Brettschneider das Wesentliche zusammen, gibt anschauliche Beispiele. Am Ende stehen der Referent, der Bürgermeister und Kämmerer Boris Maier für Fragen zur Verfügung.

„Mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat alles begonnen“, blickt Brettschneider auf die Entscheidung zurück, mit der die Richter die Grundsteuer für nicht mehr zeitgemäß und verfassungswidrig erklärt hatten. Denn die Grundstücke in den alten Bundesländern wurden zuvor letztmals 1964 bewertet, im Osten sogar 1935, die Werte seien demnach völlig veraltet und führten zu gravierenden Ungleichbehandlungen. Eigentlich hätten diese Bewertungen alle sechs Jahre erneuert werden sollen, so Brettschneider, doch darauf wurde wegen des großen Aufwands verzichtet – es handelt sich um 36 Millionen Grundstücke. „Wir kommen aus einer ungerechten Situation“, gibt Brettschneider die Sichtweise der Richter wieder. Gleichzeitig stellt er fest: „In 58 Jahren hat sich viel getan, auch in Walldorf.“

Zum 1. Januar 2022 wurden die Grundstücke durch den Gutachterausschuss Südöstlicher Rhein-Neckar-Kreis neu bewertet, zu einem Zeitpunkt, als die Preise auf dem Markt vergleichsweise hoch warten. Gerade in Walldorf sind dann auch relativ hohe Werte festgesetzt worden, die sich zwischen 940 und 1150 Euro je Quadratmeter bewegen – zum Vergleich: Im benachbarten Wiesloch liegt man in der Kernstadt zwischen 590 und 970 Euro/Quadratmeter. Dass sich für die Eigentümer (und in der Folge auch für die Mieter) mit diesen neuen Werten vergleichsweise viel ändern kann, liegt daran, dass einige Bundesländer nicht dem Bundesmodell folgen, sondern für die Grundsteuer eigene Gesetze erlassen haben. Während Bayern laut dem Referenten auf ein „wertunabhängiges Flächenmodell“ setzt, hat sich Baden-Württemberg für eine „Bodenwertsteuer“ entschieden. Damit habe man „weniger Bürokratie“ als im komplizierteren Bundesmodell, aber „auf Kosten der Gerechtigkeit“. Denn: „Alles, was auf dem Grundstück steht, spielt in Baden-Württemberg keine Rolle“, so Brettschneider. Ob Villa oder Schuppen – allein die Quadratmeterzahl multipliziert mit dem Bodenrichtwert ergibt zusammen den sogenannten „Grundsteuerwert“.

Über den Grundsteuer-Hebesatz, der in Walldorf aktuell noch bei 200 v.H. und damit auf einem landesweiten Tiefstand liegt, errechnet sich dann die Grundsteuer, die jeder einzelne Eigentümer bezahlen muss. Der Hebesatz ist auch die einzige Möglichkeit für die Kommune, Einfluss auf die Steuerbeträge zu nehmen.  „Es ist nicht die Gemeinde, die Sie abschöpfen will“, macht Brettschneider die Zwänge von außen deutlich, auf die weder die Stadt Walldorf noch andere Kommunen Einfluss haben. Da das Ertragsvolumen insgesamt aber neutral bleiben soll – die Stadt also trotz höherer Bodenrichtwerte nicht mehr Geld aus der Grundsteuer einnehmen soll als bisher –, kann der Hebesatz abgesenkt werden. Die „Aufkommensneutralität“ ist keine gesetzliche oder verbindliche Regelung, sondern ein seitens der Landesregierung an die Kommunen gerichteter Wunsch. Auf welchen Wert genau der Hebesatz gesenkt werden müsste, steht angesichts komplizierter Berechnungen noch nicht endgültig fest, möglicherweise wird er laut dem Referenten bei ungefähr 80 v.H. liegen.

Diesen Hebesatz legt Brettschneider auch seinen Beispielen zugrunde: Für eine Mietwohnung im Wohnblock kommt er statt bislang 118,10 Euro im Jahr auf nur noch 86,73 Euro. „Wohnungen mit wenig Grundstück zahlen weniger“, sagt er und erklärt die Logik der Richter: „Bisher haben sie zu viel bezahlt.“ Beim Reihenhaus, das er als Beispiel wählt, geht die Grundsteuer von 137,72 auf 96,10 Euro zurück. „Wir haben auch Gewinner, es ist nicht so, dass alle mehr zahlen“, stellt der Referent dazu fest. Anders wird es aber bei freistehenden Wohnhäusern auf größerer Fläche aussehen: Sein Beispiel nennt einen Anstieg von 177,07 auf 388,39 Euro im Jahr. Je größer das Grundstück, desto kräftiger könne es nach oben gehen – „egal, was Sie draufstehen haben“. Noch härter trifft es Besitzer unbebauter Grundstücke: In Brettschneiders Beispiel steigt die Grundsteuer von 38,65 Euro („da kann man es lange liegen lassen“) auf 552,55 Euro – vom Land werde den Kommunen das Recht eingeräumt, diesen Wert über die Grundsteuer C sogar noch zu erhöhen, im gewählten Beispiel auf dann 1381,38 Euro. Die Intention des Landes ist klar: Statt immer neuer Baugebiete und weiterem Flächenverbrauch wird so der Druck erhöht, innerörtliche Baulücken zu schließen.

Dass sich im gesamten Grundsteueraufkommen vieles vom Gewerbe auf Privatbesitzer verlagert, zeigt Brettschneider ebenfalls auf: Für ein großes Verwaltungsgebäude im Industriegebiet sinkt die Steuer beispielsweise von 24.400 auf 1536 Euro im Jahr, für einen „normalen“ Gewerbebetrieb von 2240 auf 1600 Euro. „Das sind die Auswirkungen, wenn man die Art der Bebauung weglässt“, fasst der Referent zusammen. Er warnt aber auch vor Panik: „Im Wohnbereich zahlen Sie vielleicht das Doppelte“, relativiert er Schreckensmeldungen.

Brettschneider schaut auf die aktuelle Rechtsprechung, in der noch einiges im Fluss ist: Wo das Landesfinanzgericht Rheinland-Pfalz Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells äußert und diesem Fehler attestiert, hat das Finanzgericht Bayern eine Klage zum bayrischen Modell abgewiesen. In Sachsen wird das Bundesmodell vom Finanzgericht als rechtmäßig angesehen und in Baden-Württemberg heißt es nach zwei Musterklagen: „Das Landesgrundsteuergesetz ist verfassungsgemäß.“ Einer Klage räumt der Referent aktuell wenig Chancen ein. „Sie müssen sich darauf einstellen“, sagt er. Sieht man das eigene Grundstück allerdings zu hoch und damit falsch bewertet, etwa weil Teile davon nicht für eine Wohnbebauung genutzt werden können, sollte man den Gutachterausschuss zu einer Neubewertung auffordern.

In seinem Fazit spricht Prof. Brettschneider von einer „gefühlten Ungleichbehandlung“: Freistehende Häuser auf größeren Flächen würden stärker belastet, das Gewerbe auf Kosten der Privaten entlastet, auch Besitzer kleinerer Grundstücke hätten weniger zu bezahlen. Aus Sicht des Landes sei gut, dass es ein unbürokratisches Modell und die Folgebewertung, die nach sieben Jahren kommen soll, relativ leicht sei. „Es wird Gewinner und Verlierer geben“, fasst Kämmerer Boris Maier zusammen. Und Bürgermeister Renschler erklärt zum neuen Hebesatz, über den der Gemeinderat noch entscheiden muss: „Wir wollen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger handeln.“ Primär, so sein Appell an die anwesende Landtagsabgeordnete Christiane Staab, sei aber die Landespolitik gefragt, inwieweit sie am Modell Änderungen vornehmen wolle. „Es ist eine Landesregelung, die auf die Kommunen durchschlägt“, sagt der Bürgermeister.