28.07.2023, Startseite
Mitreißende Mischung aus Klassik und Rock
Das SAP Sinfonieorchester bot den 900 Zuhörern in der Astoria-Halle ein großartiges Benefizkonzert zugunsten des Fördervereins Hospiz Agape.
Foto: Helmut Pfeifer
Benefizkonzert des SAP Sinfonieorchesters in der Astoria-Halle
Für Martin Spahr, den Dirigenten des SAP Sinfonieorchesters, ist es der Crossover-Titel, der ihm „als kleiner Steppke als Erstes untergekommen ist“: der Song „Nothing Else Matters“, gespielt im Rahmen der MTV-Unplugged-Reihe von Metallica gemeinsam mit einem Orchester, und das in einer Tropfsteinhöhle. Dass die Nummer auch in der Astoria-Halle funktioniert, beweisen Spahr, seine Musikerinnen und Musiker, die begleitende Rockband und Gesangssolist Sascha Kleinophorst mühelos und lassen die pompöse Heavy-Metal-Hymne über die voll besetzten Stuhlreihen hinwegfegen. Erst gehen viele Smartphones hoch, am Ende ist der Lohn donnernder Applaus, der sich zu stehenden Ovationen auswächst. Natürlich kommt das Orchester beim Benefizkonzert, dessen Erlös wie immer an den Förderverein Hospiz Agape geht, nicht um die unmissverständlich geforderte Zugabe herum: Das sattsam bekannte Knarren eines Sargdeckels leitet Michael Jacksons „Thriller“ ein, der funkige Rhythmus lässt das Publikum nach zweieinhalb unterhaltsamen Stunden noch ein letztes Mal begeistert mitgehen.
„Wir wären natürlich lieber am See gewesen“, sagt Hartmut Beck, der zweite Vorsitzende des Hospiz-Fördervereins, in seiner Begrüßung. Wegen des schlechten Wetters hatte man sich schweren Herzens zur Verlegung vom AQWA in die Astoria-Halle entschieden – angesichts des Dauerregens am Abend die richtige Wahl. Auch hier sei es aber „ein tolles Bild, wenn man über den vollen Saal blicken kann“. Alle 900 Sitzplätze sind besetzt, an der Abendkasse müssen sogar weitere Interessenten abgewiesen werden. Beck dankt für die „großartige Unterstützung, die wir immer von der Stadt Walldorf bekommen“, ebenso im AQWA von den Stadtwerken. Ein großes Dankeschön geht ans Orchester, das Helferteam und die Unterstützer sowie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hospiz Agape, „die Tag für Tag hervorragende Arbeit leisten“.
Bürgermeister Matthias Renschler freut sich, „das wunderbare SAP Sinfonieorchester zu hören“, und spricht vom Hospiz als einer „sehr wichtigen Einrichtung“. Auch er bedauert, dass das Konzert nicht am Badesee über die Bühne gehen kann. „Es war nicht die Absicht der Stadt, hier eine Hallenbad-Atmosphäre zu schaffen“, sagt Renschler mit einem entschuldigenden Schmunzeln angesichts der schweißtreibenden Temperaturen in der Halle. „Aber die Lüftungsanlage ist leider defekt.“ Christine Herzog überreicht für die Nussbaum Stiftung einen Scheck in Höhe von 5000 Euro, überbringt die Grüße von Klaus Nussbaum und sagt: „Es ist wunderbar, dass es Einrichtungen wie das Hospiz Agape in der Region gibt.“ Peter Schäfer, der Vorsitzende des Fördervereins, bedankt sich herzlich. „Wir können das Geld gut gebrauchen“, erklärt er mit Blick auf das Tageshospiz, das derzeit im ehemaligen Bierkeller in Wiesloch als ergänzendes Angebot zum stationären Hospiz eingerichtet wird.
Das Konzert unter dem Titel „Destiny Rock“, das ein Crossover-Programm aus Klassik und populärer Musik verspricht, beginnt mit einem echten Kracher: Die Ouvertüre zu Gioachino Rossinis Oper Wilhelm Tell ist ein schwungvoller Einstieg und eignet sich perfekt für die Kombination von Orchester und Rockband. Für Martin Spahr, erst seit einem guten halben Jahr Dirigent des SAP Sinfonieorchesters, aber schon zum dritten Mal auf der Bühne der Astoria-Halle, ist der laute Applaus „wie nach Hause zu kommen“. Sascha Kleinophorst greift bei Queens „Innuendo“ zum Mikro, einer Art Mini-Oper, ganz ähnlich dem ungleich berühmteren „Bohemian Rhapsody“ derselben Band, mit mehreren Rhythmuswechseln, einem spanischen Folklore-Teil und rockigeren Passagen. Die Streicher treiben den Song vor sich her, die Bläser sorgen für den majestätischen Touch. Kleinophorst kommt kaum gegen die Wucht des Orchesters an, hätte in der ersten Hälfte des Abends vielleicht etwas lauter abgemischt werden müssen. Probleme, die Sopranistin Kerstin Bauer nicht hat, der man auch nicht anhört, dass sie – wie Spahr erzählt – gesundheitlich angeschlagen sein soll. Mit Sarah Brightmans „A Question of Honor“, das zu modernen Beats eine Arie des italienischen Komponisten Alfredo Catalani zitiert, gibt sie einen ersten Beleg ihrer Stimmgewalt. Und das Stück steht sinnbildlich für die Verschmelzung von Klassik und Pop.
Dass Giacomo Puccinis „Nessun Dorma“ auf Englisch statt Italienisch erklingt, ist ein kleiner Wermutstropfen. Das Duett der beiden Solisten mit „Barcelona“, wie bei Olympia 1992 von Freddie Mercury und Montserrat Caballé dargeboten, macht das aber gleich wieder wett. Mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ darf sich das Orchester instrumental, aber nicht minder mitreißend austoben. Nicht jedes Stück zündet derart gut: Jeanette Biedermanns „How It‘s Got to Be“ (2001) hat sich zwar fleißig bei Tschaikowskys „Schwanensee“ bedient, die gewisse Belanglosigkeit des Popsongs lässt sich aber auch durch das Orchester nicht übertünchen. Dafür sind die Videospiel-Melodien „Super Mario Brothers“ und „Tetris“ dann wieder ein ebenso wilder wie spannender Ritt quer durch die Musikgenres.
Auch nach der knapp halbstündigen Pause und willkommener Abkühlung im Foyer oder unter Regenschirmen im Freien bleibt die Halle voll besetzt. Mit der Rockversion des ersten Satzes aus Beethovens Fünfter, auch als „Schicksalssinfonie“ bekannt, gelingt wieder ein beschwingter Auftakt, dem sich eine Reihe von „Vier-Akkord-Welthits“ anschließt, die von „Forever Young“ bis zu „Let it be“ teils nur sekundenlang angespielt werden. Journeys „Don’t Stop Believin“, das den Reigen eröffnet hat, schließt am Ende den Kreis, nach dem markanten Gitarrensolo dürfen auch die beiden Solisten mehr als nur ein paar Textfragmente singen. Die Zuhörer klatschen begeistert mit. Auffallend: Kleinophorsts Stimme dringt jetzt besser durch und auch die Background-Sänger der „Scream Factory“ aus Frankfurt kommen gut zur Geltung. Neben großartiger Musik dient der Abend dann auch der Fortbildung: Wer hätte schon gewusst, dass Eric Carmens „All by myself“, später auch ein Hit für Celine Dion, auf der Basis eines Rachmaninow-Themas geschrieben wurde? Oder dass The Verve für ihre „Bitter Sweet Symphony“ bei einem Orchester-Arrangement der Rolling Stones geklaut haben, was den Herren Jagger und Richards satte Einnahmen bescherte? Kleine Schmankerl, mit denen Martin Spahr für echten Mehrwert sorgt.
Ob die Ankündigung des Dirigenten, sich im nächsten Programm 55 Jahren ZDF-Hitparade mit Liedern von Katja Ebstein bis Nena widmen zu wollen, wirklich ernst gemeint ist, wird man sehen. Orchester-Geschäftsführer Christian Stumpf dankt Spahr herzlich („du überhäufst uns mit guten Ideen“) und kündigt gleich die nächsten Auftritte zugunsten des Hospiz-Fördervereins in der Astoria-Halle an: am 3. Dezember mit dem „Kleinen Prinzen“ beim Familien- und Kinderkonzert, am 14. Januar 2024 mit dem Neujahrskonzert, zu dem sich als Verstärkung wieder Kerstin Bauer angekündigt hat, am 10. März mit einem reinen Klassikkonzert und am 25. Juli „hier oder da“, wie Stumpf sagt – also voraussichtlich auf der Seebühne im AQWA.