13.10.2022, Leben in Walldorf
Filigraner Klang, intime Atmosphäre
Katharina Brand spielte zum Abschluss der Walldorfer Musiktage "Klangmetamorphosen" auf dem Hammerflügel.
Foto: Pfeifer
Abschlusskonzert der Musiktage mit Katharina Brand am Hammerflügel
Zahlreiche Musikliebhaber waren zum Abschlusskonzert der Walldorfer Musiktage in die Astoria-Halle gekommen. Auch an diesem Abend drehte sich alles um „Metamorphosen“, das Motto der Musiktage. Anhand ausgesuchter Klangbeispiele ließ die Pianistin und Spezialistin für historische Hammerflügel, Katharina Olivia Brand, das Publikum in ihren „Klangmetamorphosen“ die Entwicklung vom historischen Hammerflügel zum modernen Konzertflügel klanglich miterleben. Das Klavier, wie wir es heute kennen, ist nämlich ein entwicklungsgeschichtlich noch recht junges Instrument. Der Hammerflügel aus der Zeit der Klassik hat einen viel filigraneren, intimeren Klang als der moderne große Konzertflügel, mit dem man ein fast schon orchestrales Klangbild erzeugen kann.
Im direkten Vergleich offenbarten sich die ganz unterschiedlichen Vorzüge der beiden Instrumente und es wurde deutlich, wie sehr sich das Klangideal während des 19. Jahrhunderts verändert hat. Ein wunderschöner zierlicher Hammerflügel, ein historischer Nachbau nach einem Modell von Anton Walter aus dem Jahr 1795, 2010 von Klavier- und Cembalobauer Michael Walker aus Neckarsteinach angefertigt, stand quasi im Publikum. Die Zuhörer saßen im Halbkreis um das schöne Instrument. Eine heimelige, intime Atmosphäre entstand auf diese Weise und man fühlte sich in einen musikalischen Salon des 19. Jahrhunderts zurückversetzt. Große Musiksäle gab es zu jener Zeit nämlich noch nicht. Musiziert wurde in einer Art „Halböffentlichkeit“, in privater Sphäre. Das Klangvolumen des Hammerklaviers, eine Weiterentwicklung des Cembalos, hätte einen Konzertsaal auch nicht füllen können.
Bevor die ersten Klänge zu hören waren, begrüßte Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter sowie Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, Bürgermeister Matthias Renschler, den Ersten Beigeordneten Otto Steinmann und Klavierbauer Michael Walker sowie das weitere Publikum herzlich. Er berichte, dass das Konzert mit Katharina Brandt eigentlich schon für März 2020 in der Reihe „Konzerte der Stadt Walldorf“ geplant und als eines der ersten der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen war. Umso glücklicher zeigte er sich jetzt, dass es endlich, etwas verändert und an das diesjährige Motto der Musiktage angepasst, nachgeholt werden konnte. Brand schloss sich dem an und erfreute das Publikum mit vielen interessanten Informationen zu ihrem Instrument und ihrem Fantasien-Programm, das sie für diesen Abend ausgewählt hatte.
Wolfgang Amadeus Mozarts „Fantasie d-Moll“ KV 397 machte den Auftakt. Das Publikum war sogleich bezaubert von dem feinen, filigranen und direkten Klang des Hammerklaviers sowie von der Pianistin, die ganz in der Musik aufzugehen schien und mit großer Musikalität und Hingabe Mozarts melancholische Fantasie lebendig werden ließ. Eine Fantasie sei sehr nah am Instrument geschrieben, denn die Komponisten waren auch Pianisten, erklärte die Künstlerin. Aus freiem Improvisieren sei schließlich eine Komposition entstanden, die die Möglichkeiten des Instruments auslotet. Und so hatte Brand auch einige technische Herausforderungen zu meistern, was ihr mühelos gelang. Durch die mit Leder statt mit Filz bezogenen Hammerköpfe entstand ein völlig anderer Klang als bei einem modernen Flügel. Der Anschlag ist sehr viel perkussiver, transparenter und differenzierter.
Ein reiches Spektrum an Klangfarben entlockte die Künstlerin dem schönen Instrument, was besonders bei Ludwig van Beethovens „Sonata quasi una fantasia“ cis-Moll, bekannt als „Mondscheinsonate“, zum Tragen kam. Das Publikum war regelrecht hingerissen von diesen wunderbaren Klängen. Die Pianistin spielte völlig in die Musik versunken, oft mit geschlossenen Augen. Die erlesene Mondscheinsonate mit ihren formalen Freiheiten und ihrem emotionsbestimmten Stil, schon ein wichtiger Vorläufer der Romantik, klang auf dem Hammerklavier sehr ergreifend. Große und tiefe Gefühle wusste die Pianistin zu vermitteln. Herrlich flossen die harfenähnlichen Arpeggios des ersten Satzes dahin. Wir kennen dieses „Adagio sostenuto“ mit Pedal gespielt. Das Hammerklavier besitzt keine Fußpedale, sondern Kniehebel, mit denen verschiedene Klangeffekte erzeugt werden können. Zum Beispiel der Moderator, bei dem sich ein Filzstreifen zwischen Hämmer und Saiten schiebt und so den Anschlag dämpft und den Klang dunkler und obertonreicher macht. Von daher klangen die Arpeggios völlig anders als gewohnt, klar und dabei doch weich und lyrisch. Einfach traumhaft! Dem lebhaften „Allegretto“ schloss sich das schnelle hochdramatische Finale an, das Brand überaus virtuos und ausdrucksstark zu Gehör brachte. Die zierliche Pianistin zeigte hier, dass sie durchaus zupacken kann. Alle virtuosen Passagen klangen auf dem Hammerflügel glasklar, jeder Anschlag war zu hören.
Robert Schumanns „Der Dichter spricht“, das letzte und bedeutendste Stück aus seinen „Kinderszenen“, bot dem Publikum die Möglichkeit eines direkten Vergleichs zwischen Hammerflügel und modernem Konzertflügel. Bevor sich Brand an den Flügel auf der Bühne begab, durfte das Publikum Schuhmanns reizendes kleines Werk am Hammerklavier genießen. Schumann ging es um die poetische Idee, er fand für Poesie Töne und übersetzte Musik in Poesie. Immer war er auf der Suche nach einer gemeinsamen Substanz, die sowohl der Dichtung als auch der Musik zugrunde liegt. Das Werk schloss nicht mit einer kraftvollen Kadenz, sondern mit leisen, von Pausen unterbrochenen Klängen. Der abschließende G-Dur-Akkord in Quintlage ließ das ergriffene Publikum quasi mit offenen Ohren zurück, so dass es kaum zu atmen, geschweige denn zu klatschen wagte. Auf dem Konzertflügel klang das Werk völlig anders. Der Klang des Flügels ist zwar brillanter, aber härter und lauter, außerdem besitzt er nicht die Fülle an Klangfarben wie der Hammerflügel. Zudem war die Künstlerin nun weit weg und die intime Atmosphäre gab es nicht mehr.
Es folgte Schumanns „Kreislerina“, ein 1838 komponierter Klavierzyklus, bestehend aus acht Fantasien, die als ein Schlüsselwerk der romantischen Klavierliteratur gelten und zu den schönsten poetischen und rhetorischen Stücken gehören, die Schumann komponiert hat. Gewidmet ist das Werk Frederik Chopin. Die verschiedenen Fantasien zeichnen die gegensätzlichen Seelenzustände der Romangestalt des Kapellmeister Johannes Kreisler, wohl ein Alter Ego Schumanns, aus E.T.A. Hoffmanns „Lebensansichten des Kater Murr“, nach. Eine zerrissene Seele wird hier porträtiert in nahezu brutal anmutenden Charakterwechseln. Das Gefühl einer unbestimmten Sehnsucht machte sich breit. Sehr virtuos brachte Brand dieses Werk, das höchste Anforderungen an jeden Pianisten stellt, am Konzertflügel zu Gehör. Von innig, in sich gekehrt bis aufgeregt und stürmisch, von Träumerei bis Aktionismus wusste sie alle Gefühle meisterlich auszudrücken und die ganze Bipolarität von Schumanns Ton lebendig werden zu lassen. Begeisterten Applaus gab es am Ende für diese großartige und inspirierende Interpretation sowie für den wunderbaren und interessanten Abend. Als Zugabe gab es Chopins zauberhaftes Nocturne op. 55 Nr. 1 mit auf den Nachhauseweg.