02.10.2023, Startseite
Eine musikalische Sternstunde
Die Begeisterung des Publikums kannte keine Grenzen: Ido Ramot ließ am Klavier auch die schwersten Passagen mühelos erscheinen.
Foto: Helmut Pfeifer
Faszinierender Klavierabend mit Ido Ramot bei den Walldorfer Musiktagen
Beim dritten Konzert der Walldorfer Musiktage gab der junge deutsch-israelische Pianist Ido Ramot ein umjubeltes Gastspiel in der Laurentiuskapelle. In seinem mit „Metamorphosen“ betitelten Programm stellte er Werke von Johannes Brahms und Franz Liszt gegenüber. Der Musikbeauftragte der Stadt, Dr. Timo Jouko Herrmann, führte zu Beginn des Konzerts in beide Werke und in das Leben der Komponisten ein. Dabei zeigte sich, wie unterschiedlich sich unter ähnlichen Voraussetzungen begonnene Lebenswege entwickeln können.
Beide Komponisten stammten aus Musikerfamilien und debütierten noch im Kindesalter. Doch während Liszt tatsächlich eine von seinem Vater maßgeblich vorangetriebene „Wunderkind“-Karriere durchlief und als neuer Mozart gefeiert wurde, tat sich Brahms zunächst schwer mit seiner Rolle als Künstler. Sein angebetetes Vorbild Beethoven stand ihm übermächtig im Weg. So bildete er sich quasi im Verborgenen weiter, die ersten Kompositionen veröffentlichte er nur zögerlich unter Pseudonym. Erst die Bekanntschaft mit dem Ehepaar Schumann sollte die Wende bringen. „Das ist ein Berufener“, schrieb Robert Schumann und sah im jungen Brahms so etwas wie einen Heilsbringer der neuen Musik.
Die damals entstandene monumentale Klaviersonate Nr. 3 f-Moll des 20-jährigen Brahms fasziniert auch heute noch, vor allem wenn sich ein Künstler wie Ido Ramot dieses Werks annimmt. Mächtig auftrumpfend ließ er den Beginn der Sonate erklingen. Kraftvoll, doch immer mit Geschmack und großer Klangkultur zeigte er, wie Brahms in diesem Werk die Grenzen des Flügels auslotet. Der zweite Satz wurde unter seinen Händen zu einem dynamisch fein abgestuften, intimen Kammerspiel. Mit viel Sinn für die unregelmäßigen Taktstrukturen und grotesken Elemente gestaltete er anschließend das grimmig-bizarre Scherzo der Sonate, das mit seinem ungestüm-drängenden Gestus einen starken Kontrast zum vorherigen Satz bildete. Einen neuerlichen Ruhepunkt bildete hiernach das vor dem Finale eingeschobene kurze Intermezzo mit seinem Trauermarschgestus und den beklemmenden Trommelimitationen im Bass. Die komplexe Rhythmik des Finales kam durch das klare und kräftemäßig klug kalkulierte Spiel Ramots bestens zur Geltung. Die Virtuosität gegen Ende des Satzes geriet in seiner Interpretation nicht zum Selbstzweck, sondern führte sogartig in den prächtig-erhabenen Schluss. Ramot gelang dank seiner Anschlagskultur das Kunststück, in dieser Sonate alle Register des Flügels durchhörbar und perfekt ausbalanciert zum Klingen zu bringen. Orchestrale Effekte standen da ganz organisch neben subtil ausgestalteten kantablen Passagen. Für die exzeptionelle Interpretation dieses Werks zollte das Publikum dem Künstler rauschenden Applaus.
Franz Liszts große Fantasie „Réminiscences de Norma“ bildete den zweiten Teil des Konzerts. Bereits in jungen Jahren war der Komponist dafür berühmt, hochvirtuos über beliebte Melodien zu improvisieren. Um ein orchestrale Klangbild nachzuahmen, ersann Liszt für die damalige Zeit revolutionäre, zum Teil als unspielbar angesehene neue Spieltechniken. In den „Réminiscences“ verarbeitete er sieben Themen aus Vincenzo Bellinis Erfolgsoper „Norma“, die er jedoch nicht potpourriartig aneinanderreihte, sondern mit denen er das Bühnendrama gewissermaßen nach-erschuf und dessen Essenz als Basis für neue formale Strukturen nutzte. Die immensen Schwierigkeiten dieser Komposition bewältigte Ido Ramot mit stupender Technik und viel Gespür für opernhafte Dramatik und das damit verbundene, so wichtige „Chiaroscuro“. Es war schlicht atemberaubend zu hören (und zu sehen), wie Ramot dieses höllisch schwere Werk scheinbar mühelos bewältigte. Die Begeisterung des Publikums kannte nach dieser musikalischen Sternstunde keine Grenzen mehr; der mit unzähligen Bravo-Rufen vermischte Beifall wollte nicht enden.
Für seine Zugabe bat der sympathische junge Künstler – der nebenbei auch ein begnadeter Improvisator ist – um ein musikalisches Thema aus dem Publikum. Eine mutige Dame schlug das Lied „Der Mond ist aufgegangen“ vor. Ramot besann sich kurz und begann sodann eine ebenso virtuose wie vielgestaltige Improvisation, die mit polyphonen Bach-Anklängen anhob und sich dann stilistisch weiter durch die Musikhistorie bis in die Neuzeit hinein bewegte. Die hingerissenen Besucherinnen und Besucher wollten den Künstler nicht ziehen lassen und erklatschten eine weitere Zugabe. Zum Abschied gab Ido Ramot dem Publikum die feinen Klänge eines wunderbar intim musizierten Préludes von Chopin mit auf den Heimweg.