21.12.2023, Startseite
„Ein Pflegezentrum, in dem sich die Menschen wohlfühlen“
Bürgermeister Matthias Renschler spricht im großen Interview zum Jahresende über die wichtigsten Themen, die Walldorf bewegen.
Foto: Stadt Walldorf
Interview zum Jahresende mit Bürgermeister Matthias Renschler
Das Jahr 2023 geht zu Ende und in Walldorf ist wieder viel passiert, wurden wegweisende Entscheidungen getroffen und einiges Neue geschaffen. Zeit, mit Bürgermeister Matthias Renschler im Interview auf ein spannendes Jahr zurückblicken, die wichtigsten Themen noch einmal zu beleuchten und einen kleinen Ausblick auf Kommendes zu wagen.
Herr Renschler, was war denn aus Ihrer Sicht das Walldorfer Highlight im Jahr 2023?
Bürgermeister Matthias Renschler: Es gab einige Dinge, die sehr gut liefen. Aber das Highlight war unbestritten, dass wir beim Pflegeheim nach nur zwei Jahren den Standort gefunden haben und den Architektenwettbewerb abschließen konnten.
Der Abschluss des Wettbewerbs bedeutet aber vermutlich nicht, dass morgen schon gebaut und übermorgen eingezogen werden kann?
Renschler: Wir wissen, wie das Pflegeheim aussehen wird. Aber jetzt geht die Arbeit weiter mit der Ausführungsplanung und dem Erstellen des Bebauungsplans. Ich hoffe, dass wir in rund drei Jahren fertig sind, vielleicht auch in dreieinhalb Jahren. Das ist zwar sehr optimistisch, aber ich glaube, dass es machbar ist. In dieser Zeit bleiben wir nicht untätig: Wir müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Astor-Stiftung gewinnen, die das Pflegeheim betreiben soll – auch das wird eine große Herausforderung sein.
Warum ist das Pflegeheim denn so dringend notwendig?
Renschler: Walldorf hat 16.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Ab 1. Januar 2024 haben wir noch 58 Pflegeplätze im bestehenden Astor-Stift in der Winterstraße. So wenige Plätze sind für eine Stadt in dieser Größe nicht hinnehmbar. Wer in Walldorf lebt und alt wird, möchte in Walldorf, wenn es denn nötig ist, auch gepflegt werden. Die Voraussetzungen dafür wurden über Jahre hinweg nicht geschaffen, obwohl man wusste, dass es nach der Änderung der Landesheimverordnung ab dem kommenden Jahr weniger Plätze sein würden. Deswegen war es für mich nach meinem Amtsantritt wichtig, dieses Pflegeheim voranzubringen. Damit kommen 100 Plätze hinzu, 90 im Pflegezentrum und zehn in der Demenzstation, einer Einrichtung, die wir bisher nicht in Walldorf haben. Wir haben auch keine Tagespflege in Walldorf, das war ebenfalls zu ändern. Und es hat mich gefreut, dass aus dem Gemeinderat die Idee gekommen ist, betreute Seniorenwohnungen mit in den Bau zu integrieren. Wenn man den Wettbewerb sieht, werden wir ein gelungenes Pflegezentrum haben, in dem sich die Menschen wohlfühlen werden.
Was tut sich beim zweiten zukunftsträchtigen Großprojekt, dem neuen Feuerwehrhaus?
Renschler: Dass die Anfahrt für die Feuerwehrleute im Einsatz zum geplanten Standort unproblematisch möglich ist, war für mich ein weiteres Highlight. Damit haben wir die Sicherheit, dass das Feuerwehrhaus dort gebaut werden kann.
Hat die Verwaltung dafür einen ungefähren Zeithorizont?
Renschler: Wir werden im Jahr 2024 den Architektenwettbewerb für das Feuerwehrhaus abhalten. Auch dann muss anschließend natürlich noch Planungsrecht geschaffen werden. Die Grundstücksstruktur ist nicht ganz einfach.
Tatsächlich gebaut wird 2024 an der Waldschule. Die Stadt steckt 25 Millionen Euro in die Erweiterung und Ertüchtigung.
Renschler: Ich war selbst überrascht über die Höhe dieser Investition, die aber sinnvoll ist. Ein weiteres bedeutendes und notwendiges Projekt für Walldorf. Mit der Änderung der Schulbezirksgrenzen werden perspektivisch mehr Schüler an der Waldschule sein, insbesondere dann, wenn der dritte Bauabschnitt Walldorf-Süd umgesetzt ist. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Aktuell hat die Waldschule zum Beispiel keine Mensa und auch die Außenanlage ist neu zu gestalten. Eine moderne Schule ist für die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer von Vorteil.
Wie sieht es an den anderen Schulen in Walldorf aus?
Renschler: Wir investieren gerne Geld in die Ausstattung all unserer Schulen. Zukünftig werden auch wieder am Schulzentrum und an der Schillerschule Investitionen und Umbauten anstehen, so am ehemaligen Gebäude der Sambugaschule, das stark sanierungsbedürftig ist. Da müssen wir noch mit dem Gemeinderat besprechen, in welche Richtung es gehen soll. Der Gebäudeteil C der Schillerschule ist ebenfalls sanierungsbedürftig. Und durch die Zunahme der Schülerzahlen steht eine Erweiterung des Schulzentrums im Raum. Sollte G9 wieder kommen, wird das weiteren Raumbedarf bedeuten. Das machen wir alles gerne als Stadt Walldorf, wir investieren in die Zukunft unserer Kinder und der Gesellschaft. Letztlich verdanken wir es unseren Gewerbesteuereinnahmen, dass wir solche Projekte angehen können. Auch deshalb ist es wichtig, den guten Kontakt zu den Unternehmen vor Ort zu pflegen. Wir sind dankbar, dass wir sie haben.
Ist in den Kinderbetreuungseinrichtungen alles im Lot?
Renschler: Natürlich gibt es immer Modernisierungsbedarf. Aber grundsätzlich sind alle Einrichtungen, ob von der Stadt, den Kirchen oder von privaten Trägern betrieben, sehr, sehr gut aufgestellt – einmal abgesehen vom Fachkräftemangel. Wenn es Schwierigkeiten gibt, sind wir mit den Trägern im Gespräch.
Die Stadt ist auch als Bauherr auf dem Wohnungsmarkt aktiv. Wie ist der Sachstand bei den beiden Projekten in der Heidelberger-/Hebelstraße sowie in der Wieslocher Straße, mit denen weiterer geförderter Wohnraum entstehen soll?
Renschler: Auf dem Grundstück Heidelberger-/Hebelstraße hatten wir dieses Jahr den Spatenstich, das Bauvorhaben geht voran, die Auftragsvergaben sind in vielen Bereichen schon erfolgt. Für die beiden Gebäude in der Wieslocher Straße läuft die Ausführungsplanung. Ich gehe davon aus, dass wir hier 2024 den Spatenstich haben werden.
Gebaut wird auch in der Ziegelstraße, die saniert werden muss.
Renschler: Die Ziegelstraße ist nicht nur im Belag sanierungsbedürftig, sondern auch im Unterbau, was Leitung und Kanal angeht. Ich kann verstehen, wenn es manche für unglücklich halten, dass die Maßnahme zeitgleich zum Bauvorhaben Heidelberger-/Hebelstraße läuft. Aber wir werden circa acht bis neun Monate für die zwei Bauabschnitte brauchen und versuchen, das für die Anwohnerinnen und Anwohner so erträglich wie möglich zu halten. Dass es zu Unannehmlichkeiten kommen wird, ist leider klar. Da dort auch eine Bäckerei sitzt, haben wir ein Baustellenförderprogramm beschlossen, um den Betrieb im Bedarfsfall zu unterstützen.
Ein Großprojekt der Stadtwerke ist der Dachständer-Rückbau, der dieses Jahr begonnen wurde und mit dem auch gleichzeitig Strom- und Glasfaser-Netz in vielen Bereichen Walldorfs ertüchtigt werden. Inwieweit ist die Stadt hier involviert?
Renschler: Die Stadt ist die Hauptgesellschafterin der Stadtwerke, die dieses äußerst wichtige Projekt durchführen. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke habe ich den Glasfaserausbau vorangetrieben, denn er ist wichtig für die Bürger und die Unternehmen. Der Dachständerrückbau ist ebenfalls notwendig, aber ein Unterfangen, das über viele Jahre gehen wird. Auch damit ist die eine oder andere Unannehmlichkeit verbunden, aber für den Fortschritt sind nun einmal Baumaßnahmen erforderlich.
Beim ÖPNV gibt es zwei größere Themen. Das eine ist das kostenlose Busfahren in Walldorf, das die Stadt ganz schön teuer zu stehen kommt. Lässt sich hier eine bessere Lösung finden?
Renschler: Wir waren massiv überrascht, was die Kosten angeht: Wir hatten eine Schätzung der Verkehrsbetriebe von 53.000 Euro, liegen heute aber bei rund 300.000 Euro. Es kann nicht sein, dass man sich so verschätzt, hier müssen wir natürlich tätig werden. Wir sind mit dem Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) im Gespräch, um eine Pauschalierung für die Restlaufzeit der laufenden Bündelausschreibung zu erreichen. Das wird hoffentlich in einem für beide Seiten erträglichen Maß ausgestaltet sein. Ich bin ein Befürworter des kostenlosen Busfahrens in Walldorf, aber nicht auf diesem Preisniveau.
Thema Nummer zwei ist die Schaffung einer Stadtbuslinie, um vor allem im von der Versorgung weitgehend abgeschnittenen Norden der Stadt den Bürgerinnen und Bürgern ein weiteres ÖPNV-Angebot machen. Tut sich in dieser Hinsicht etwas?
Renschler: Da sind wir ebenfalls mit dem VRN sowie der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv) im Gespräch. Wir prüfen derzeit eine on-demand-Lösung mit Kleinbussen, um den Bereich im Norden anzuschließen, und zwar nicht nur Fischgrund, Hubstraße, Talstraße und Jahnstraße, sondern auch im westlichen Norden, im Sambugaweg hintenraus, diese Ecken, die auch abgeschnitten sind. Das ist kein Ruftaxi, es gibt einen Fahrplan. Aber „on demand“ heißt, ich melde es an und es gibt virtuelle Haltestellen, die enger getaktet sind. Wir prüfen mit dem VRN, wie die Linien sinnvoll verlaufen können. In anderen Städten wie Mannheim und Landau läuft das sehr erfolgreich. Ich bin überzeugt, dass wir das im Jahr 2024 in eine Pilotphase bringen werden.
Eine Erfolgsgeschichte bleibt die Solaroffensive. Allein für die beiden Photovoltaik-Förderprogramme stehen im kommenden Haushalt drei Millionen Euro bereit. Rechnen Sie mit einer anhaltend großen Nachfrage?
Renschler: Ein klares Ja. Ich bin überzeugt, dass die Nachfrage nicht nachlassen wird, weil viele Eigentümerinnen und Eigentümer diese Förderung noch nicht beantragt haben. Das ist ein sehr gutes Programm. Im Gewerbebereich könnte es vielleicht noch ein bisschen mehr angenommen werden. Da ist es aber auch eher ein Anreiz als eine Kostenkompensierung.
Gibt es auch Möglichkeiten für weitere große Freiflächen-Photovoltaikanlagen?
Renschler: Wir sind konkret in der Prüfung am Nußlocher Bahnübergang, außerdem im sogenannten Autobahn-Ohr. Und wir haben weitere Flächen westlich der A5, die noch geprüft werden. Das Repowering der Bestandsanlage ist im Moment leider nicht möglich. Grund ist die Haubenlerche, von der nicht nur Private betroffen sind – wegen der Auflagen des Landes kommen wir aktuell nicht in ein Repowering, das wirtschaftlich wäre, und wir kommen auch nicht in eine Erweiterung. Das wird sich noch einige Zeit verzögern. Hier steht der Artenschutz über der Erweiterung einer Freiflächen-Photovoltaikanlage.
Deutlich kritischer als die Solarenergie sehen viele Menschen das Thema Windkraft. Wie sehen in diesem Punkt die Pläne in Walldorf aus?
Renschler: Wir haben die Potenzialflächen beim Regionalverband angemeldet. Die fanden leider nicht in dem Maße Berücksichtigung, wie wir sie angemeldet haben. Stattdessen hat der Regionalverband auch andere Flächen ausgewiesen. Es ist mir ein bisschen ein Rätsel, wie da gearbeitet wird. Wir wurden aufgefordert, zu melden – und dann wird das, was man gemeldet hat, nicht berücksichtigt. Das ist schon kurios. Ich bin beim Thema Windenergie auf Walldorfer Gemarkung aber ohnehin sehr zurückhaltend. Ich bin ein großer Freund der Photovoltaik, aber bei der Windenergie sehe ich noch nicht den tatsächlichen Gewinn. Ich glaube nicht, dass es Pflicht sein sollte, alles auf jeder Gemarkung zu machen. Man muss ideologiefrei schauen, welche Form der erneuerbaren Energie eignet sich auf meiner Gemarkung am sinnvollsten und am wirtschaftlichsten. Da haben wir ein hohes Photovoltaikpotenzial – das mag an der Bergstraße, in den Höhen, anders sein. Ich muss ja auch eine Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Und ich halte nichts davon, dass man wahllos in die Wälder reingeht, den ohnehin geschädigten Wald noch weiter einschränkt. Das ist der falsche Weg.
Sehr lebendig scheinen die Walldorfer Städtepartnerschaften. Sie haben in diesem Jahr persönlich Freeport und Waldorf/Maryland in den USA sowie auch wieder Saint-Max in Frankreich besucht. Mit welchen Eindrücken sind Sie nach Hause gekommen?
Renschler: Die Begegnungen waren durchweg positiv. Freeport ist eine sehr lebendige Partnerschaft über die Feuerwehr. Die Freeporter Freunde kommen regelmäßig zum Spargelmarkt und zur Kerwe. In Waldorf/Maryland dagegen war der letzte Besuch im Jahr 2008 – diese Freundschaft konnte jetzt wiederbelebt werden durch die Familie Klein, die die Beziehungen zu Waldorf und zum Charles County wieder hergestellt hat. Es war wunderbar, alle haben sich wahnsinnig viel Mühe gegeben. Und sie haben gesagt, dass sie uns 2024 besuchen wollen. Das wäre natürlich schön. Mit Astoria hätte es das 60-jährige Bestehen der Partnerschaft gegeben, aber es hätte keinen Sinn gemacht, alle drei amerikanischen Partnerstädte in einem Aufwasch zu besuchen, zumal zu Astoria auch ein lebendiges Verhältnis zwischen der Realschule und der Astoria High School besteht. Saint-Max ist natürlich die intensivste Beziehung zwischen den Kommunen und zwischen den Bürgermeistern, da ist eine tiefe Verbindung entstanden, aber das liegt auch an der relativ kurzen Entfernung von knapp 280 Kilometern. Die französischen Freunde kommen immer zu Spargelmarkt und Kerwe und wir Anfang Dezember zu Saint Nicolas, das ist ein riesiges Spektakel. 2024 werden wir zu diesem Anlass eine Kooperation mit Karlsruhe hinkriegen, das ja Partnerstadt des benachbarten Nancy ist. Leider haben wir in die Türkei aktuell keine Verbindung. Wir haben sie angeschrieben, aber es kam leider keine Rückmeldung aus Kirklareli – die Gründe wissen wir nicht. Und dann haben wir noch eine gute Beziehung zu Walldorf/Werra mit regelmäßigen Kontakten.
Ist zur weiteren Festigung der Partnerschaften in naher Zukunft bereits etwas geplant?
Renschler: Ich möchte auf jeden Fall 2024 einen Besuch in Walldorf/Werra machen. Astoria prüfen wir natürlich und in Kirklareli bleiben wir dran.
Finanziell steht die Stadt weiter sehr gut da. Der Einschnitt mit den Gewerbesteuer-Rückzahlungen Ende 2022 wurde gut verkraftet, das laufende Jahr bringt tendenziell weit höhere Einnahmen als geplant. Wie sieht es 2024 aus?
Renschler: Wir gehen 2024 von höheren Einnahmen als den 2023 eingeplanten aus. Die Konjunktur in den Bereichen, die uns betreffen, läuft. Unsere großen Steuerzahler vermelden zumindest keine größeren Probleme. Dafür müssen wir dankbar und froh sein, auch ein bisschen demütig, wenn wir sehen, was in anderen Kommunen läuft. Im Landkreis wird es ebenfalls finanziell enger, weshalb die Kreisumlage erhöht wurde, was in Nachbarkommunen zu Einschnitten führt. Das läuft für uns glimpflich ab. Deshalb sollte man mit Demut darauf schauen, was man fordert.
Die Finanzen sind da, die Projekte auch. Bremst eher der Fachkräftemangel einiges aus? Und was kann dagegen getan werden?
Renschler: Der Fachkräftemangel ist ein riesiges Problem, von dem alle betroffen sind, natürlich auch die Stadt Walldorf. Wir sind personell noch einigermaßen gut aufgestellt, wobei es natürlich Bereiche gibt, in denen es schwieriger wird, nehmen wir den Tiefbau oder die Kinderbetreuung. Es gibt da viele Faktoren und wir haben tatsächlich Probleme, wenn Menschen durch Arbeit weniger verdienen als durch Sozialleistungen oder nur annähernd gleich viel – da ist der Anreiz nicht gegeben. Und es gibt Sonderbereiche, in denen es schwierig ist, zum Beispiel in der Pflege. Da sind wir auf die Hilfe von Fachkräften aus dem Ausland angewiesen. Aber das ist eine Kettenreaktion: Dann müssen Wohnungen geschaffen werden, das muss alles finanzierbar sein. Darüber muss man sich viele Gedanken machen. Wir als Stadt können nur versuchen, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Alles andere liegt nicht in unserer Hand, da ist die Verantwortung bei Land und Bund.
Ein Thema, das viele Menschen beschäftigt, ist ebenfalls beim Land angesiedelt: die Grundsteuerreform. Was kann die Stadt da tun, wie ist der aktuelle Stand?
Renschler: Die Grundsteuerreform ist für alle Kommunen in Baden-Württemberg ein äußerst unschönes Thema. Baden-Württemberg meinte, es muss abweichen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wie auch Bayern, aber dort ist die Problematik nicht so gravierend. In Baden-Württemberg hat man versäumt, rechtzeitig über die Anrechnungshebesätze nachzudenken. Die sogenannte Aufkommensneutralität mag auf dem Gesamtgebiet Walldorfs richtig sein, aber eben nicht in dem Sinn, dass jeder das Gleiche bezahlt, was er davor bezahlt hat. Ich finde es höchst bedauerlich, dass unsere Landespolitik bis heute keine Klarheit geschaffen hat, wie es mit der Grundsteuer abläuft, wie die Anrechnungshebesätze im Finanzausgleichsgesetz am Schluss sind. Es gibt ja den Zweijahres-Versatz im Finanzausgleich: Selbst wenn man das 2024 noch ändern würde, käme es erst zwei Jahre später zum Tragen. Besonders ärgerlich ist in dieser Situation, dass auf jedem Grundsteuerbescheid Stadt Walldorf stehen wird, die Stadt Walldorf aber für diese Grundlagen, die das Land nicht schafft, nichts kann. Und auch nicht für die Grundlagen, die das Land geschaffen hat. Das ist die große Schwierigkeit. Wir werden 2025 hunderte, wenn nicht tausende Widersprüche haben – und das Land bietet keine Unterstützung. Das finde ich höchst bedauerlich, und wir werden es ungerechterweise abbekommen. Da muss ich auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen. Ich bekomme jetzt schon viele aggressive Ansprachen zu diesem Thema.
Und tun kann die Stadt nichts?
Renschler: Nein. Wir können nur an den Hebesätzen arbeiten. Aber wir können den Hebesatz nicht so weit absenken, wie es erforderlich wäre, um auf eine Gebietsneutralität zu kommen. Dann müsste die Stadt aus eigenem Obligo den Ausgleich bezahlen – das schafft selbst die Stadt Walldorf nicht auf Dauer. Das heißt, es muss im Land geändert werden. Aus dem Finanzministerium kommt leider immer dieselbe Antwort: Es sei in Arbeit, es sei in Abstimmung. Aus meiner Sicht wird das Thema hin- und hergeschoben, es geht zu viel Zeit ins Land. Deshalb werden die Jahre 2025 und 2026 für die Grundsteuerzahler nicht sonderlich erfreulich. Und auch nicht für die Kommunen, die die Grundsteuerbescheide verschicken. Ich kann den Unmut verstehen, das schlägt durch auf die Mieten, da ist wahnsinnig viel sozialer Zündstoff drin.
Bleibt ein Blick auf die weltpolitische Lage mit ihren vielen Krisenherden, die natürlich auch immer vor Ort ihre Auswirkungen haben. Mit welchen Erwartungen gehen Sie in dieser Hinsicht ins Jahr 2024?
Renschler: Mit zwiegespaltenen Erwartungen. Ich hoffe, dass sich die Weltlage beruhigt, dass insbesondere diese brutalen Konflikte in der Ukraine, in Äthiopien, in Syrien oder in Afghanistan sich abschwächen oder vielleicht auch lösen lassen. Wir haben diese schrecklichen Taten in Israel und Palästina gesehen, auch da kommt auf beiden Seiten niemand zur Ruhe, es bleibt schwierig. Das können wir nicht beeinflussen. Aber wir können schauen, dass es bei uns gut zugeht, dass sich die Menschen nicht feindlich begegnen, deswegen dürfen wir auch Pro-Kundgebungen für Gewalt nicht zulassen. Wir müssen dem ebenso entschieden entgegentreten wie dem Antisemitismus. Wir haben eine wunderbare Freundschaft mit der Familie Klein, wir sehen die schrecklichen Ereignisse der dreißiger und vierziger Jahre, für die wir nicht verantwortlich sind, aber für die wir aus historischen Gründen Verantwortung tragen müssen. Leider wächst in Deutschland auch die Gefahr des antidemokratischen Daseins durch die Unzufriedenheit der Menschen. Da wäre mein Appell an die Politik, dass man zusammenarbeitet und nicht nur um Wähler buhlt. Das Nachtragende, Besserwissende führt nie zum Ziel.
Weihnachten und der Jahreswechsel stehen vor der Tür. Was wünschen Sie den Walldorferinnen und Walldorfern?
Renschler: Ich wünsche allen Walldorferinnen, Walldorfern und unseren Gästen, die bei uns weilen, alles erdenklich Gute, viel Glück, viel Zufriedenheit, vor allem aber viel Gesundheit.
Herr Renschler, vielen Dank für das Gespräch.