15.03.2023, Startseite
Die Haubenlerche muss sich weiter vermehren
Großer Presserummel im Rathaus: Bürgermeister Matthias Renschler, Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder und Landrat Stefan Dallinger informieren über die Allgemeinverfügung zum Schutz der Haubenlerche, die am 1. April wieder in Kraft tritt.
Foto: Helmut Pfeifer
Pressekonferenz zur Allgemeinverfügung mit Regierungspräsidentin, Landrat und Bürgermeister
„Mindestens fünf Haubenlerchen“ hat Andreas Ness (Planungsbüro IUS Weibel & Ness) im Brutgebiet in Walldorf-Süd in diesem Jahr schon erspäht. „Ich vermute, dass es mehr sind“, gibt er sich bei der Pressekonferenz im Walldorfer Rathaus optimistisch. Zum Gespräch haben Regierungspräsidium Karlsruhe, Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis und die Stadt gemeinsam eingeladen, bevor die Allgemeinverfügung zum Schutz der Haubenlerche und das damit verbundene Verbot des Freigangs von Katzen in Walldorf-Süd zum 1. April wieder in Kraft tritt.
Bürgermeister Matthias Renschler begrüßt die zahlreichen anwesenden Pressevertreter aus der überregionalen Medienlandschaft. Er stellt zum wiederholten Mal klar: „Es ist keine Verfügung der Stadt“, sondern eine des Landes, die über die Untere Naturschutzbehörde des Rhein-Neckar-Kreises erlassen worden sei. „Wir müssen uns als Stadt auch an diese Verfügung halten“, ergänzt der Bürgermeister. Walldorf sei verpflichtet, die in Baden-Württemberg vom Aussterben bedrohten Singvögel zu schützen und ihre Population wieder zu erhöhen. Als 2018 der Bebauungsplan für den zweiten Abschnitt des Neubaugebiets Walldorf-Süd in Kraft getreten war, waren noch fünf Brutpaare gezählt worden. 2022 waren es anfangs noch drei, später nur noch zwei Paare.
„Der Artenschutz ist uns wichtig, der Tierschutz aber auch“, sagt Renschler. „Wir müssen ein Miteinander finden.“ Für den Unmut unter den Katzenhaltern hat er „volles Verständnis“ und hofft, „dass wir zu einer Lösung kommen“. Der Bürgermeister bekräftigt auf Nachfrage auch, dass es entgegen anderslautender Meldungen nie einen Auftrag der Stadt gegeben habe, „eine Datenspeicherung vorzunehmen“ – darauf habe man zwischenzeitlich den Landesschutzbeauftragten erneut hingewiesen. Deshalb kann er auch auf die Frage, wie viele Katzen und ihre Besitzer von der Verfügung betroffen sind, keine Antwort geben: „Es gibt keine Erhebung.“
Sylvia M. Felder hat zwar eine Erkältung mit nach Walldorf gebracht, aber deshalb keine schlechte Laune. „Meine Stimme hat es mir nicht wegen des Themas verschlagen“, scherzt sie, ehe sie zum Ernst der Lage kommt. Artenschutz und Biodiversität hätten in der Öffentlichkeit großen Rückhalt. Wenn es aber nicht um weit entfernte Korallenriffe oder Berggorillas gehe, sondern der Artenschutz konkret vor Ort mit Einschränkungen verbunden sei, „kann das auch unbequem werden“. Der Bestand an Haubenlerchen habe im Regierungsbezirk „dramatisch abgenommen“, in ganz Baden-Württemberg war der Tiefpunkt 2019 mit 40 Revieren, aktuell seien es dank funktionierender Maßnahmen wieder 74 – zum Vergleich: 1987/88 wurden 670 Reviere gezählt. Man erlebe eine positive Entwicklung, „nur in Walldorf ist das nicht der Fall“. Das habe man auf die besondere Dichte an Hauskatzen im fraglichen Gebiet zurückgeführt und deshalb, nachdem zahlreiche andere Maßnahmen nicht fruchteten, die Allgemeinverfügung erlassen.
„Immerhin ein erster Erfolg“, freut sich die Regierungspräsidentin: 2022 hatten acht junge Haubenlerchen die kritische Phase überlebt, in denen sie ihren Fressfeinden – unter anderem Elstern, Mardern und eben auch Katzen – besonders schutzlos ausgeliefert sind. „Wir haben die Hoffnung, dass sie sich weiter vermehren, hier ansiedeln und brüten.“ Das Wachsen der Population sei auch eine Voraussetzung dafür, „dass eine weitere Bebauung möglich ist“, sagt Sylvia Felder. Ihr Dank gilt allen, die für den Artenschutz die Einschränkungen auf sich nehmen. Denn der Erhalt der Haubenlerche sei „gewichtiges Gemeinwohlinteresse“.
Die Regierungspräsidentin geht auch auf die 39 Widersprüche gegen die Allgemeinverfügung ein, die allesamt zurückgewiesen wurden, nachdem weitere vier zuvor zurückgezogen worden waren. „Ein Widerspruchnehmer hat Klage erhoben, das läuft zurzeit“, gibt sie bekannt. Das ist Landrat Stefan Dallinger, der neben ihr auf dem Podium sitzt, sogar recht: „Ich bin froh, dass es zu einer gerichtlichen Klärung kommt.“ Dann habe man eine rechtssichere Grundlage. Für den Landrat gibt das letztjährige Ergebnis der Maßnahme recht, die aus seiner Sicht „zwingend erforderlich“ gewesen ist. „Die Haubenlerche war zuerst hier“, räumt er mit Missverständnissen auf. Nachdem alle Versuche vom Schaffen der Ausweichhabitate bis zur direkten Ansprache der Katzenbesitzer nichts bewirkt hätten, habe man zur „ultima ratio“ der Allgemeinverfügung greifen müssen. Dallinger wies auf die Möglichkeit von Befreiungen hin: Per GPS-Tracker könne dokumentiert werden, dass die Katze das Gebiet nicht aufsuche, andere Möglichkeiten seien eine nachgewiesene Invalidität, die Sicherung des eigenen Gartens oder der Freigang an der Leine. „Es gibt Möglichkeiten“, unterstreicht der Landrat.
Andreas Ness gilt als ausgewiesener Experte für die Haubenlerche, kümmert sich unter anderem bereits in Leimen und Hockenheim um die bedrohten Singvögel und ist ab diesem Jahr auch für die Stadt Walldorf im Monitoring tätig. „Es gab keinen Disput“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler zum Rückzug des bisher von der Stadt beauftragten Büros. Mit Ness habe man aber einen echten Fachmann für die schwierige Aufgabe gewinnen können. „Wir werden versuchen, die Bruten allumfassend zu schützen“, sagt dieser, deshalb sind er und seine Kollegen schon jetzt quasi täglich vor Ort, um die Tiere und ihre Reviere zu beobachten. „Unser Ziel ist, im Spätsommer mindestens den gleichen Bruterfolg wie im letzten Jahr nachweisen zu können“, sagt er. „Wenn es toll läuft“, wolle man diesen sogar steigern.
Und was hat die Haubenlerche in den vergangenen Monaten gemacht? „Die fliegen nicht nach Afrika, die bleiben hier.“ Ganz in der Nähe von Walldorf-Süd gebe es zum Beispiel eine landwirtschaftliche Fläche, die als Schlafplatz genutzt werde. Und so, wohl der günstigen Witterung wegen, seien schon im Januar die ersten Vögel wieder gesichtet worden, sagt Ness.