07.09.2022, Kultur & Freizeit
„Deutschland steht vor der größten Transformation der Nachkriegsgeschichte“
Viele interessierte Walldorferinnen und Walldorfer kamen zum Vortrag "Klimawandel: Sind wir noch zu retten?".
Foto: Pfeifer
Vortrag zur Eröffnung der Fairen Woche stößt auf großes Interesse
Am Sonntag fand im evangelischen Gemeindehaus der Auftakt zur Fairen Woche statt. Die Reihe „Punktsieben“ hatte mit dem früheren Gemeinderat Prof. Dr. Joachim Schleich einen ausgewiesenen Experten im Bereich der Klimaökonomie als Referenten gewinnen können. Sein Vortrag trug den Titel „Klimawandel: Sind wir noch zu retten?“. Das Interesse daran war groß – fast alle Plätze im Veranstaltungssaal waren belegt.
Schleich skizzierte zunächst mit „ein bisschen Vorlesungsstoff“ die Folgen des Klimawandels anhand verschiedener Szenarien, die von Experten je nach drohender Erderwärmung berechnet wurden. Er zeigte konkret am Beispiel Walldorf auf, dass zukünftig mit 20 und mehr Tagen pro Jahr gerechnet werden müsse, an denen es 30 Grad Celsius und mehr hat. Die Anpassung an den Klimawandel werde daher ein wichtiges Thema bleiben. Schleich sprach auch das Thema „Klimagerechtigkeit“ an: „Die Schäden werden von denen getragen, die am wenigsten dazu beigetragen haben.“ Gemeint sind vor allem Entwicklungsländer, denen die Ergebnisse des Pariser Klimaabkommens nicht weit genug gingen. Politisch sei das größte Problem der „kleinste gemeinsame Nenner“. Dieser verhindere momentan, ambitionierte Ziele wie die Begrenzung auf 1,5 Grad Erderwärmung überhaupt umzusetzen. Das hält er aber sowieso für nicht mehr erreichbar, man sei jetzt „auf dem 3,0-Grad-Weg“. In diesem Zusammenhang beleuchtete Prof. Schleich die Ambitionen der EU, die er durchaus positiv bewerte. Und mahnte zugleich: „Man muss versuchen, alle mitzunehmen.“ Auch Deutschland habe sein Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen gegenüber 1990 mit 41 Prozent erreicht. „Aber nur dank Covid“, wie Schleich ironisch hinterherschob. Ein weiteres Thema: der individuelle Fußabdruck. Dabei betonte Schleich: „Der Stromverbrauch wird im privaten Bereich überschätzt. Der Beitrag der Ernährung dagegen wird massiv unterschätzt.“ Aufgrund der ambitionierten Ziele sowohl bei Industrie und Wirtschaft als auch bei den Privathaushalten ist sich Schleich sicher: „Deutschland steht vor der größten Transformation der Nachkriegsgeschichte.“ Den Wasserstoff sieht der Experte in der Industrie einen wichtigen Faktor werden. Es brauche große Mengen davon und diese müssten unbedingt mit Hilfe erneuerbarer Energien hergestellt werden.
Nach dem rund einstündigen Vortrag waren die Gäste an der Reihe, ihre Fragen zu stellen. Es wurde beispielsweise nach Tipps für lokale Maßnahmen gefragt („Nahrung ist ein großer Hebel – mehr ÖPNV und Fahrrad nutzen“), was Schleich von Geoengineering hält („bin kein Experte, Wirkung ist ungewiss“), ob der Wald dem Windpark vorzuziehen ist („Frage der Abwägung – müssen Akzeptanz schaffen in der Bevölkerung“) und ob Atomkraftwerke in der Energiekrise wieder ein Thema werden sollten („eher Kohle, die kann flexibel für Wärme und Verstromung eingesetzt werden und unterliegt dem Emissionsrechtehandel“).
Wie fiel nun das Fazit seines Vortrags in Anlehnung an den Titel („Sind wir noch zu retten?“) aus? Hier gab sich Joachim Schleich grundsätzlich optimistisch. Es sei möglich, die Erderwärmung auf unter 2,0 Grad zu begrenzen. Deutschland und die EU sieht er dabei auf einem zwar ambitionierten, aber „guten und sinnvollen Weg“. Auch die USA leisteten ihren Beitrag, auch wenn die Maßnahmen zur CO2-Reduzierung nicht weit genug gingen. Und in China stimme der massive Ausbau von erneuerbaren Energien positiv. Außerdem: „Die Erzeugungskosten neuer Technologien, die wir brauchen, sind massiv gesunken. Und das stimmt mich als Ökonomen hoffnungsvoll.“