18.11.2022, Kultur & Freizeit
Der Reiz, das Auto am Limit zu bewegen
Packendes Duell am Salzburgring: Tim Schestag (weißes Auto) überholt einen Konkurrenten.
Foto: Richard Allrich
Der Walldorfer Rennfahrer Tim Schestag hat seinen zweiten Meistertitel geholt
„Das wollte ich schon als Kind immer machen“, sagt Tim Schestag über seine Faszination für den Motorsport. Damals habe „auf jedem Zettel“ der Berufswunsch Rennfahrer gestanden. Heute ist der 21-Jährige aus Walldorf zweifacher Meister der Serie „Pfister Racing Tourenwagen Challenge“. Davon leben kann der Maschinenbau-Student zwar noch nicht, aber er lebt seine Leidenschaft. „Ein Auto am Limit zu bewegen, ist eine unglaubliche Aufgabe“, sagt er. Und fügt im besten Rennfahrer-Slang an: Ihn reize „die Challenge, mit jemandem Tür an Tür zu racen, die Competition“. Schestags Begeisterung ist förmlich greifbar. „Du sitzt eine halbe Stunde oder länger bei vollster Konzentration im Auto und darfst dir keinen Fehler erlauben“, schildert er die Herausforderung.
Sein Weg ans (Zwischen-)Ziel war ein ungewöhnlicher. Statt wie andere Kinder mit Begeisterung für den Motorsport große Teile der Freizeit auf einer Kartbahn zu verbringen, sei er „vielleicht einmal im Jahr“ dort gewesen, der große Berufswunsch zwischenzeitlich auch ein wenig in Vergessenheit geraten. Bis er mit 14 Jahren das Sim-Racing, den virtuellen Motorsport am Bildschirm, für sich entdeckte. Danach ging es in ein echtes Auto, zum Automobil-Slalom, einer beliebten Breitensportvariante, die auch für Normalsterbliche finanzierbar ist. „Da darf man mit 15 anfangen, ich bin mit einem Opel Corsa gefahren“, erzählt Schestag, der für den AMC Reilingen angetreten ist – und das erfolgreich, unter anderem als Nordbadischer Vizemeister des ADAC Youngster Cups und Nordbadischer Meister in der Einsteigerklasse.
Mit 17 Jahren nahm er dann an einer Sichtung der Firma Pfister teil, mit 18 absolvierte er seine Rennlizenz, die eine der Voraussetzungen für die Teilnahme an der Rennserie ist. Die andere lautet: Ohne Geld läuft es nicht. Man muss also nicht nur fahren können, sondern sich sein Cockpit kaufen. Das konnte sich Tim Schestag nur dank der Unterstützung seines Vaters leisten. Der sei anfangs noch skeptisch gewesen, habe dann aber rasch gesehen, dass der Sohn „ein bisschen fahren“ kann. „Im zweiten Qualifying habe ich direkt die Pole Position geholt“, sagt Schestag über sein erstes Rennwochenende. Am Ende der Saison mit zwölf Rennen hatte er die Meisterschaft gewonnen und wiederholte diesen Erfolg auch im zweiten Jahr.
„Wir fahren oft als Rahmenprogramm mit“, begleitet die Pfister-Challenge meist andere Rennserien wie das ADAC GT Masters, so dass auch Zuschauer die Rennen verfolgen. Und die Livestreams werden laut Tim Schestag bis zu 20.000 mal geklickt. „Das ist Motorsport auf Tourenwagen-Niveau“, sagt er. „Es geht darum, was der Fahrer kann.“ Alle zehn bis 16 Piloten treten in baugleichen Autos an, dem Modell Chevrolet Cruze Eurocup. Da es je nach Zustand der Fahrzeuge kleinere Unterschiede gibt, werden sie bei jedem Rennen neu zugelost, was die Spannung erhöht. So wie bei seinem ersten Sieg 2021 am Lausitzring: „Das Auto war nicht 100 Prozent perfekt, ich habe es trotzdem geschafft. Ich habe noch nie so gejubelt, das war ein unglaublich enges Rennen.“ Erst in der vorletzten Runde habe er seine beiden größten Kontrahenten noch überholt. Dieses Jahr hat er vor allem den Hockenheimring als „Heimrennen“ vor vielen Familienangehörigen, Freunden und Bekannten genossen, sein bestes Rennen habe er auf dem Salzburgring absolviert. In der vorletzten Runde setzte er sich in einer Kurve von Platz vier auf zwei und „mit einer kompletten Harakiri-Aktion“ sei er in den letzten Kurven vor dem Ziel noch auf Platz eins geschossen – mit nur einer Zehntelsekunde Vorsprung. Und das bei 34 Grad Außentemperatur und bestimmt 60 Grad im Auto. „Das Gesicht hat wehgetan vor Hitze“, erzählt Schestag.
Wie es mit der Rennkarriere weitergeht, weiß er aktuell noch nicht. Für viele Rennserien müsse der Fahrer „astronomische Summen“ mitbringen, um dort antreten zu können, was ohne Sponsoren nicht möglich ist. „Ich fahre aber auf jeden Fall weiter“, sagt der Walldorfer. „Mein Traum ist es, das irgendwann so betreiben zu können, ohne dafür bezahlen zu müssen. Und dann auf hohem Niveau gegen starke Leute zu fahren.“