26.09.2024, Startseite

Auf Island gibt’s an Weihnachten Waldorf-Salat

Auch wer Walldorf nicht kennt, hat vielleicht schon einmal vom Waldorf-Salat gehört. Er spielt heute im Auszug aus dem Walldorfer Tagebuch von Gastkünstlerin Sanna Konda eine wichtige Rolle.
Foto: Pixabay

Aus dem Walldorfer Tagebuch von Gastkünstlerin Sanna Konda

Ich bin nach Walldorf eingeladen. Für ein halbes Jahr darf ich dort eine Dachwohnung beziehen, die in der Mitte des Städtchens direkt neben der Kirche in der Scheune Hillesheim liegt. Mir ist ein bisschen mulmig, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Auch geehrt fühle ich mich – meine Texte sind auf offene Ohren, auf Verständnis und Interesse gestoßen. Und ich fühle mich sehr, sehr frei: Ein halbes Jahr lang kann ich einfach schreiben. Sich wieder einmal so ganz in sich zu versenken, Schreiben zum Daseinszweck zu machen, ist ein Luxus. Ich kann mein Buch fertig schreiben.

Jetzt muss ich es nur noch meinem Mann beichten. Was wird er zu meinem Abhandenkommen sagen, das in diesem Fall sogar ein doppeltes ist, nach Walldorf in die dörfliche Einsiedelei, aber auch ein Verschwinden in einen Schreibprozess, der mich für das Außen oft unzugänglich macht.

Meinem Mann bin ich vor einiger Zeit auf Island zugelaufen, seitdem sind wir unzertrennlich. Der dunkelbärtige New Yorker und die blonde Ostfriesin gehören trotz und wegen Altersunterschied, Sprachbarriere und permanentem gegenseitigem Kulturschock zusammen. Ihm von der Einladung nach Walldorf zu erzählen, fühlt sich an, als müsste ich einen Seitensprung beichten. Wir sitzen unter blühenden Bäumen im Garten einer Pizzeria und ich warte, bis er sein erstes Bier getrunken hat. Ich weiß etwas, das er nicht weiß und das unser Leben betrifft. Kann dieses Gespräch eigentlich noch eine gemeinsame Entscheidung sein oder ist es nur noch eine Mitteilung über meinen Entschluss? In ehelicher Lebensplanung habe ich nicht viel Übung, meine Füße rutschen nervös in ihren Sandalen herum, mein Weinglas leert sich schnell.

Wenn Menschen uns fragen, wie wir uns kennengelernt haben, dann erzähle ich eine Geschichte, die ihren Anfang vor ein paar Jahren in einer Bar in Reykjavik nimmt, mein Mann aber holt nach einem ihm zu eigen gewordenen isländischem Brauch beim Erzählen weit aus. Seine Geschichte beginnt zwar nicht mit den Wikingern, aber doch vor hunderten von Jahren: Da ist ein Auswanderer von meiner kleinen ostfriesischen Heimatstadt Norden nach New York aufgebrochen und hat dort ein Haus gebaut, das bis heute steht und das älteste der Stadt ist. Als habe ein seidener Faden zwischen dem alten Wyk-Hof bei Marienhafe und dem alten Wyckoff-Haus in New York schon unsere Verbindung geknüpft.

Ich gebe mir einen kleinen Schubs und erzähle von der Einladung nach Walldorf. Mein Mann reagiert mit einer unerwarteten Frage: Ob ich schon mal etwas vom Waldorf-Salat gehört habe? Ich schüttle den Kopf und mein Mann lacht befriedigt und sofort wird mein Kopfschütteln zu einer vorhersehbaren Requisite seiner Erzählung: Niemand kenne mehr den Waldorf-Salat, einzig auf Island sei dieser spezielle Salat mit Sellerie, Apfel und Walnüssen nie aus der Mode geraten und gehöre zum isländischen Weihnachten dazu wie die kinderfressende Weihnachtskatze und die dreizehn Wichtel von den spitzen Bergen. Berühmt gemacht habe diesen Salat einst das Hotel Waldorf-Astoria in New York, das von den Nachfahren eines der reichsten Männer New Yorks gebaut wurde: Johann Jakob Astor, der aus Walldorf nach New York emigriert war. Als kluger Geschäftsmann durch Handel und Immobilien reich geworden, gehörte Astor nicht nur zu den ersten Celebrities von New York, sondern hat diese Stadt, die bei seiner Ankunft nur ein paar Tausend Einwohner zählte, aufgebaut.

Während mein Mann auf seinem Handy nachguckt, wo dieses Walldorf eigentlich liegt, fällt mir auf, dass mir dieses Gespräch doch ziemlich schnell entglitten ist. Es scheint, dass diese Spinne, die auf dem Globus herumkriechend seidene Fäden zwischen Norden und New York gesponnen hat, längst auch schon in Walldorf gewesen ist.

Für meinen Mann ist die Welt, glaube ich, ein ganz kleiner Ort, viel kleiner noch als mir Walldorf erscheint, dieser Fleck unterhalb von Heidelberg, der bald mein Zuhause ist. Ist es nicht normal, dass mir mulmig ist angesichts der plötzlichen lebensgeschichtlichen Wegbiegung nach Walldorf? Es ist ein Sprung ins Ungewisse, ein kleines Wagnis. In unserem Alter wird die Offenheit gegenüber den Überraschungseffekten des Lebens immer seltener, also kann ich auch ein bisschen stolz darauf sein, dass ich habe, was meine Oma mit gerümpfter Nase eine unstete Seele nennt. Und Ruhe kehrt in mich ein, die Ruhe einer Abenteurerin vor dem Sprung ins Unbekannte.

Das Originalrezept

Der Waldorf-Salat wurde Ende des 19. Jahrhunderts in New York City im Hotel Waldorf, dem Vorläufer des weltberühmten Hotels Waldorf Astoria, kreiert. 1896 erschien das Rezept für Waldorf-Salat im Kochbuch „The Cook Book by Oscar of the Waldorf“ von Oscar Tschirky, der zu dieser Zeit Maître d’hôtel (also Oberkellner, nicht etwa Chefkoch) im Hotel Waldorf war. Tschirky, ein Schweizer Einwanderer, schreibt auf Seite 433 seines umfangreichen Werkes unter der Überschrift „Waldorf salad“: „Schälen Sie zwei rohe Äpfel und schneiden Sie sie in kleine Stücke, etwa einen halben Zentimeter im Quadrat, schneiden Sie auch etwas Sellerie auf die gleiche Weise und mischen Sie ihn mit dem Apfel. Achten Sie darauf, dass keine Kerne der Äpfel mitgemischt werden. Der Salat muss mit einer guten Mayonnaise angemacht werden.“ Walnüsse sollen erst seit den 1920er Jahren Teil des Salats sein.