22.01.2025, Kultur & Freizeit
Auf den Spuren von Nína Sæmundsson
Statuen, die im Gedächtnis bleiben: Sanna Konda hat einige Eindrücke von ihrem Islandbesuch mitgebracht.
Fotos: privat
Aus dem Walldorfer Tagebuch von Sanna Konda
Die Verbindung zwischen Walldorf, wo ich momentan Gastkünstlerin sein darf, New York als Geburtsstadt meines Mannes und Island, wo wir einander begegnet sind, lässt meinen Mann und mich nicht los. Uns fasziniert Nína Sæmundssons Statue Spirit of Achievement, die so lange den Eingangsbereich des Waldorf Astoria geziert hat und uns zum Symbol der Vernetzung von Walldorf, New York und Island geworden ist. So entschließen wir uns, den Geburtsort der Künstlerin auf Island zu besuchen. Früh am Morgen brechen wir in Reykjavík auf und fahren in dem typisch isländischen Zwielicht über die Berge Richtung Süden, immer den Gletschern entgegen. Anderthalb Stunden später erreichen wir Hvolsvöllur. Hier, nahe dem Geburtsort von Nína Sæmundsson, wurde zu deren 131. Geburtstag eine perfekte Nachbildung ihrer Statue Spirit of Achievement errichtet. „Halte die Augen offen“, sagt mein Mann, während er langsam die Hauptstraße entlang durch den kleinen Ort fährt – und da sehe ich sie schon. Zwischen dem Lava-Centre und der Abzweigung zum Saga-Centre krönt die filigrane Figur einen großflächigen Spielplatz in der Ortsmitte.
In der bizarren isländischen Landschaft wirkt Nínas Statue zierlich, während sie im Waldorf Astoria symbolisch im Zentrum des Pomps thront. Es ist ihrer Schönheit zu verdanken, dass sie mit beiden Orten korrespondiert und der Ausdruck von Kraft und Selbstbewusstsein dieser Figur sich in den monströsen Bergen ringsum genauso spiegelt wie im Luxus eines der berühmtesten Hotels der Welt. Diesem aufsteigenden Engel liegt die Welt zu Füßen. Was mir zuerst in den Blick springt und was zuvor auf allen Fotos der Statue überhaupt nicht ersichtlich war, ist die Asymmetrie der Flügel. Sie tun der Schönheit keinen Abbruch, aber ich frage mich doch, welches Geheimnis in ihnen liegt.
Das Abenteuer unserer kleinen Reise beginnt erst richtig, als wir uns auf die Suche nach dem Geburtsort der Künstlerin machen, die die erste professionelle Bildhauerin Islands war. Die abgelegene Farm, auf der sie, geboren 1892, als jüngstes von fünfzehn Geschwistern aufgewachsen ist, steht nicht mehr. Auf dem Gelände aber hat eine ihrer Nichten ihr zum Andenken einen kleinen Garten errichten lassen, in dem man eine ihrer berühmtesten Statuen sehen kann. Wir fahren etwa zwanzig Minuten durch einen kurzen und plötzlichen Regen Richtung Landesinnerem. Die Gegend ist nur spärlich besiedelt. Google Maps ist keine Hilfe und wir müssen uns bei den Einheimischen nach diesem Ort namens Nínulundur erkundigen. Mein Mann spricht auf Isländisch mit einer jungen Frau, die uns aufgeregt eine genaue Wegbeschreibung gibt. Dem Glänzen in ihren Augen ist zu entnehmen, dass wir uns zu einem besonderen Ort aufmachen. Wir folgen also der Straße und kommen, gerade als die Wolkendecke aufreißt und ein schneeweiß leuchtender Gletscher am Horizont sichtbar wird, an eine auf einem Hügel gelegene Kirche. Wir fahren dort hoch, parken das Auto hinter der Kirche und folgen einem schmalen Pfad über zwei Brücken hinein in einen kleinen, von Bäumen gesäumten Garten. Im Zentrum des Gartens steht die überlebensgroße Junge Mutter, die in jedem Arm ein Baby trägt. Warum Nína Sæmundsson mit dieser Statue ein Preisausschreiben in Los Angeles gewonnen hat, ist sofort ersichtlich. Die selbstbewusste Figur strahlt, bei noch reduzierteren Formen als denen von Spirit of Achievement, Anmut und Würde aus. Mutterschaft zeigt sich als ebenso sakral wie natürlich; der Garten mit Blick auf den imposanten Gletscher verwandelt sich durch die diese drei Bewohner in ein Paradies. Während mein Mann fotografiert, läuft eine – irgendwie vom Schauer verursachte – Träne aus dem Auge des Kindes im rechten Arm der jungen Mutter über sein Gesicht und fließt als kleiner Strom den grazilen Körper der Mutter hinunter.
Auf dem Weg zurück nach Reykjavík schweigen wir erst eine Weile, beeindruckt von dem magischen Ort, der übrigens auch – darauf weist ein Schild hin – Schauplatz einer der berühmtesten Sagas Islands ist, der Njálssaga. Mit wenigen, behelfsmäßigen Sätzen versuchen wir eine Verbindung zu ziehen zwischen einer solchen Landschaft und der Idee von Schönheit in der Seele einer heranwachsenden Künstlerin. Meinem Mann fällt plötzlich noch ein anderer Ort ein, an dem wir eine weitere Statue von Nína Sæmundsson finden könnten, und so machen wir – nach einem Abstecher zur ältesten als Badeort genutzten heißen Quelle Islands, wo wir uns eine Stunde im warmen Wasser treiben lassen – noch einen Abstecher zu einem Dorf, in das bisher kaum ein Tourist gekommen ist. Die für Menschen mit Beeinträchtigungen gebaute großzügige und als Dorf gestaltete Anlage hat einen Skulpturengarten, der viele Kunstwerke von bekannten isländischen Bildhauer*innen zeigt. In einer strahlenden Abenddämmerung stehen wir vor Nína Sæmundssons als „Dämmerung“ betitelten knienden Statue in anmutiger Beugung des Kopfes und eleganter Armhaltung; das rechte Knie stützt den rechten Arm, dessen Hand auf der linken Brust ruht; der linke Arm streckt sich neben dem Körper nach unten, die Fingerspitzen berühren ohne jedes Gewicht den Boden. Wieder diese Mischung aus Kraft und Anmut.
Wider besseres Wissen versuchen wir auf dem Rückweg nach Reykjavík noch, Einlass zu finden in die Kirche von Sellfoss, in der ein Relief der Jungfrau Maria, geschnitzt aus Balsaholz, von Nína zu sehen wäre, aber die Kirche ist geschlossen. Ein Blick auf das Kunstwerk müsste wohl mit einem Besuch der Messe erkauft werden. Mein Mann ist von der Idee, früh am nächsten Morgen noch einmal hier raus zu fahren, nicht begeistert. Er möchte unser Abenteuer auf den Spuren Nína Sæmundssons morgen lieber in Reykjavík fortsetzen, wo zwei ihrer Kunstwerke im öffentlichen Raum zu sehen sind.