15.09.2023, Startseite
„Auch ein Mozart ist nicht vom Himmel gefallen“
Der städtische Musikbeauftragte Dr. Timo Jouko Herrmann hat für die Walldorfer Musiktage wieder ein spannendes Programm zusammengestellt.
Foto: Dominic Manuel
Walldorfer Musiktage nehmen „Wunderkinder“ in den Fokus - Interview mit Dr. Timo Jouko Herrmann
Die 14. Walldorfer Musiktage finden von 20. September bis 8. Oktober statt. Der Auftakt geht wie gewohnt im Rathaus-Atrium über die Bühne, danach finden zwei Konzerte in der Laurentiuskapelle und das abschließende Orchesterkonzert in der evangelischen Stadtkirche statt. Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und Organisator der Musiktage, geht im Interview auf das diesjährige Motto „Wunderkinder“, die Besonderheiten des Programms und einiges mehr ein.
Die Walldorfer Musiktage sind in diesem Jahr mit „Wunderkinder“ überschrieben. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?
Dr. Timo Jouko Herrmann: In diesem Jahr wollte ich den Blick einmal auf jugendliche Genies werfen. Was und wie haben sie komponiert? Wer waren ihre Vorbilder? Warum haben manche länger als andere gebraucht, um sich künstlerisch freizuschwimmen? Das sind die primären Fragen, die mich bei der Programmgestaltung geleitet haben.
Natürlich fällt einem Mozart als „Wunderkind“ ein, der dann auch am 20. September zum Auftakt im Rathaus zu hören sein wird. Die Cembalokonzerte, die auf dem Programm stehen, erklingen allerdings eher selten. Warum ist die Wahl auf sie gefallen?
Herrmann: Diese drei frühen Werke gehören zu den frühen konzertanten Stücken, die Mozart für seinen eigenen Gebrauch geschaffen hat. Die Musik ist allerdings nicht reiner Mozart: Der Komponist hat die Konzerte nämlich nach Sonaten des von ihm hochverehrten Johann Christian Bach arrangiert. Das war mir programmatisch sehr wichtig, dass auch gezeigt wird, an welchen Vorbildern sich jugendliche Genies orientiert haben. Auch ein Mozart ist nicht vom Himmel gefallen.
Warum sind komponierende Frauen so selten? Und was macht die Musik von Fanny Hensel, der Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, zu etwas Besonderem?
Herrmann: So selten sind Komponistinnen eigentlich gar nicht, sie standen nur aus gesellschaftlichen Gründen jahrhundertelang im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Es galt lange Zeit als nicht statthaft, wenn Frauen einen künstlerischen Beruf ausüben wollten – selbst wenn ihre Fähigkeiten überragend waren. Fanny Hensel ist so ein Fall. Sie war eine geniale Pianistin und Komponistin, nicht minder begabt als ihr heute berühmterer junger Bruder. Für ihn war sie die einzige künstlerische Instanz, die er gelten ließ. Er diskutierte mit ihr seine Werke und befolgte ihre Ratschläge.
Interpreten der Werke der Mendelssohn-Geschwister sind am 24. September die ukrainische Sopranistin Kateryna Kasper, die gerade für einen „Opus Klassik“ nominiert worden ist, und ihr Duopartner Dmitry Ablogin. Worauf darf sich das Walldorfer Publikum freuen?
Herrmann: Das Duo hat sich bereits auf einer international hervorragend besprochenen CD mit den Werken der Geschwister Mendelssohn auseinandergesetzt. Beide stehen aber auch unabhängig von ihrer Duo-Tätigkeit am Anfang einer großen Karriere: Kateryna arbeitet etwa regelmäßig mit dem legendären Barockdirigenten René Jacobs zusammen und Dmitry ist als Spezialist für historische Tasteninstrumente ein gern gesehener Gastsolist bei vielen bekannten Originalklangensembles.
Ein weiterer Künstler, der deutsch-israelische Pianist Ido Ramot, wandelte in jungen Jahren sogar selbst auf Wunderkind-Pfaden.
Herrmann: Ido ist ein sensationeller Pianist, der bereits im Alter von neun Jahren mit dem Johannesburg Symphony Orchestra debütiert hat. Seine technischen Fähigkeiten sind nahezu unbegrenzt, dazu kommt eine Ausdruckstiefe, die man einem noch so jungen Künstler kaum zutrauen würde.
Schlägt er mit dem Titel seines Programms, „Metamorphosen“, am 28. September ganz bewusst eine Brücke zu den letztjährigen Musiktagen, die ja unter diesem Motto standen? Oder ist das reiner Zufall?
Herrmann: Der Titel des Programms war tatsächlich Idos Vorschlag, aber ich fand das natürlich einen tollen Brückenschlag ins vergangene Jahr. Zum Klingen kommen zwei sehr unterschiedliche Werke der Zeitgenossen Brahms und Liszt, die ja ganz unterschiedliche Ansätze für die Komposition von Klaviermusik gefunden haben. Brahms ist mit seiner monumentalen, hochkomplexen f-Moll-Sonate vertreten, mit der er als 20-Jähriger das Ehepaar Schumann geradezu in Ekstase versetzt hat. Von Liszt erklingt die unerhört schwierige Fantasie „Réminiscences de Norma“, die vom Pianisten technisch so ziemlich alles abverlangt, was auf einem Flügel möglich ist.
Zum Abschluss wird es am 8. Oktober ein Orchesterkonzert geben. Diesmal erklingen bekanntere Mozart-Werke, auch unter Mitwirkung eines renommierten Solisten.
Herrmann: Das Abschlusskonzert soll noch einmal die ganze verblüffende Bandbreite an Ausdrucksmitteln aufzeigen, die dem jungen Mozart zu Gebote stand. Da gibt es Dramatisch-Aufgewühltes, Liebliches, Hochvirtuoses ... Dieser junge Mann konnte einfach alles. Für das wunderbare Fagottkonzert ist es gelungen, David Petersen zu gewinnen, den Solofagottisten des Leipziger Gewandhausorchesters. Er ist ein ungeheuer vielseitiger Solist und schafft es, sein Instrument in den schönsten Farben zum Klingen zu bringen. Es ist wirklich hinreißend, wie er auf dem Fagott lyrische Kantilenen gestaltet, fast so, als wenn er auf dem Instrument singen würde.
Und wo ist die Verbindung von Mozart zum Oratorium „Isacco“ des böhmischen Komponisten Joseph Myslivecek, dessen Ouvertüre beim Konzert in der evangelischen Kirche ebenfalls gespielt wird?
Herrmann: Hier sind wir noch einmal beim Thema der musikalischen Vorbilder: Mozart hat dieses Stück von Myslive?ek so sehr geschätzt, dass er mühevoll eine Partiturabschrift davon angefertigt hat. Und so kam es, dass man lange Zeit dachte, die Komposition stamme aus der Feder des jungen Mozart. Stilistisch steht sich die Musik der beiden verblüffend nahe.
Mit dem Rathaus, der Laurentiuskapelle und der evangelischen Stadtkirche gibt es drei verschiedene Veranstaltungsorte. Ist das ebenso ein Markenzeichen der Walldorfer Musiktage wie die musikalische Vielfalt?
Herrmann: Die Vielfalt der Veranstaltungsorte ist tatsächlich von Anfang ein Markenzeichen der Musiktage. Wir haben so viele schöne Konzertmöglichkeiten hier vor Ort und die möchten wir mit unseren Konzerten auch immer wieder in den Fokus rücken. Das Rathaus-Atrium etwa hat sich als klanglich ausgesprochen dankbarer Veranstaltungsort erwiesen, der vom Publikum mittlerweile sehr geschätzt wird.
Und wenn am 8. Oktober der Vorhang für die diesjährige Reihe fällt, geht es direkt an die Vorbereitung für kommendes Jahr? Oder läuft diese schon längst?
Herrmann: Die Vorbereitungen sind natürlich schon in vollem Gange. Bei vielen Künstlerinnen und Künstlern muss man ja schon sehr frühzeitig anfragen, gerade wenn es um etwas ungewöhnlichere Programme geht. Im nächsten Jahr steht der 300. Geburtstag des Kurfürsten Carl Theodor an, daher werden sich die Musiktage um seine Rolle als Förderer der schönen Künste in Mannheim und München und um die stilbildende Musik seiner berühmten Hofkapellmitglieder drehen.
Dr. Herrmann, vielen Dank für das Gespräch.
Info: www.walldorfer-musiktage.de. Kartenvorverkauf in Walldorf in der Buchhandlung Dörner und im Rathaus, Restkarten an der Abendkasse.