10.10.2022, Startseite
Amors Ränkespiele bezaubern die Zuhörer
Isolde Winter (Barockcello), Jürgen Banholzer (Cembalo) und Altus Matthias Lucht (von links) begeisterten bei den Walldorfer Musiktagen mit ihrem Programm "Von den Wandlungen der Liebe".
Foto: Pfeifer
Kammermusikabend „Von den Wandlungen der Liebe“ bei den Musiktagen
Die vierte Veranstaltung der diesjährigen Walldorfer Musiktage bescherte dem Publikum einen wunderbaren kammermusikalischen Genuss. Zu Gast in der Astoria-Halle waren Matthias Lucht (Altus), Isolde Winter (Barockcello) und Jürgen Banholzer (Cembalo). Dr. Timo Jouko Herrmann, Initiator und künstlerischer Leiter sowie Musikbeauftragter der Stadt Walldorf, hatte dieses hervorragende Trio, allesamt Koryphäen der historischen Aufführungspraxis, für die Musiktage gewinnen können.
Inhaltlich drehte sich alles um die Wandlungen der Liebe und Amors Ränkespiele, oft in pastorale Metaphern und Allegorien getaucht. Neben virtuosen Kantaten von Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach standen auch Instrumentalwerke der beiden barocken Meister auf dem Programm. Händels Kantate „Vendendo amor“ für Altstimme und Basso continuo eröffnete den Abend. Entstanden ist die Kantate mit italienischem Text wahrscheinlich um 1706 in Venedig und gibt mit ihrer Frische und ihrem Ungestüm einen guten Eindruck von der Kunst des jungen Händel auf dem Gebiet der weltlichen Kammerkantaten, die während seines Italienaufenthaltes zwischen 1706 und 1710 entstanden, wieder. Der Held in dieser Kantate erfreute sich allzu lange seiner Freiheit, in einem unbedachten Moment geht er aber Amor ins Netz, wie er schon zu Beginn im Rezitativ klagend berichtet.
In gewundenen Moll-Linien und gebrochenen Septakkorden fing Händel in der ersten Arie das kühle Dunkel des Waldes ein, in dem sich der Schäfer zur Ruhe legt. Die Chromatik des Mittelteils freilich verrät, dass es eine trügerische Ruhe ist, in der er sich sicher wähnt. Amor und die schöne Schäferin Eurilla finden den Schlafenden und der Liebesgott schießt seinen Pfeil ab. Im triumphalen D-Dur-Allegro der letzten Arie wird er als Gefangener abgeführt. Ab diesem Moment kann er nicht mehr hoffen, Frieden zu finden. Tag und Nacht singt er nunmehr aus Liebe, aber mehr noch aus Wut. Zum besseren Verständnis hatte das Publikum dankenswerterweise eine Übersetzung der gesungenen Texte zur Hand. Lucht brachte mit seiner hohen, weiblich gefärbten Männerstimme die Gefühle des Helden wunderbar zur Geltung. Seine Interpretation erwies sich enorm dicht und spannungsgeladen. Süße Weichheit sowie dramatische Kraft konnte seine klangschöne Stimme hervorbringen. Wunderbar harmonierten die Instrumentalisten mit dem Sänger und erwiesen sich als verlässliche und virtuose Begleiter. Hier wurde mit Leib und Seele musiziert. Silberne Cembalo-Klänge, herrlich warme Klänge des Barockcellos und dazu die leuchtende und flexible Stimme Luchts ergaben zusammen ein musikalisches Juwel von höchster Qualität.
Ihre Virtuosität konnte Cellistin Isolde Winter auch mit Johann Sebastian Bachs Suite für Violoncello solo Nr. 2 d-Moll unter Beweis stellen. Die Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach sind so etwas wie die Königsdisziplin für Cellisten. Die Herausforderung ist nicht nur technischer Natur, sondern liegt auch darin, dass es keinen Autografen gibt und der Musiker seine eigene Interpretation der Werke finden muss. Winter wuchs geradezu mit ihrem Barockcello zusammen, ließ es singen, klagen und tanzen und brachte dem Publikum auf meisterliche Weise den Zauber und die Tiefe dieses eindrücklichen Werkes nahe. Immer war der Kontrapunkt vortrefflich zu hören. Wie bei einer Unterhaltung standen sich zwei „Stimmen“ gegenüber, Rede und Kommentar, Frage und Antwort. Winters Interpretation klang sehr natürlich, ausdrucksstark und innig.
Die folgende weltliche Kantate „Amore traditore“ von Johann Sebastian Bach ist eine der beiden einzigen erhaltenen Kantaten Bachs mit italienischem Text. Der große Meister der Kirchenmusik hat sich demnach auch mit der italienischen Kammerkantate, einer Modegattung des Hochbarocks, auseinandergesetzt. Das ursprünglich für Bass und Continuo geschriebene dreisätzige Werk kostet den Topos des enttäuschten Liebenden aus. Der betrogene Held will die Ketten abwerfen, sich von dem tödlichen Schlag erholen und sein Herz heilen lassen. Von der Liebe, der Verräterin, sagt er sich los. In sehr hoher Stimmlage, oft im Sopran-Register, lieh Lucht dem Enttäuschten ausdrucksstark seine Stimme. Bannholzer faszinierte das Publikum mit seinem hochvirtuosen Cembalospiel. Mit atemberaubender Geschwindigkeit ließ er seine Finger über die gesamte Tastatur des Cembalos tanzen. Die beiden Künstler bezauberten die Zuhörer mit dieser großartigen, charmanten Gelegenheitskomposition Bachs.
Auch mit Händels Suite Nr. 5 E-Dur aus der „Suite de Pièces pour le clavecin“ konnte Bannholzer sein Können unter Beweis stellen. Wunderbar arbeitete er die einzelnen Stimmen im polyfonen und ruhigen Prélude heraus. Ebenso ruhig und meditativ floss die Allemande dahin. Hier war Zurücklehnen und Genießen angesagt. Schnell und virtuos wurde es in der Courante. Ein Schmied bei der Arbeit soll Händel angeblich zu diesen immer schneller werdenden hämmernden Rhythmen inspiriert haben.
Händels Kantate „Lungi da me, pensier tiranno!“, ebenfalls aus seiner Zeit in Italien, setzte einen fulminanten Schlussstrich unter diesen beglückenden Kammermusikabend. Hier will eine Liebende den Gedanken verbannen, dass ihr Geliebter sie betrügt. Mit vielen virtuosen Koloraturen versuchte Lucht, diesen „grausamen Gedanken“ zurückzuweisen, allerdings vergeblich. Zumindest hofft die Protagonistin am Ende, dass ihr Geliebter zu ihr zurückkehrt. Leicht und flüssig, als wäre es ein Kinderspiel perlten die Koloraturen dahin. Lucht überzeugte mit einer emotional geladenen Textdeutung, die durch darstellerische Aspekte wie Mimik und Gestik unterstützt wurde. Lebendig und einfühlsam begleiteten Cembalo und Cello. Mit begeistertem Applaus bedankte sich das Publikum bei den Künstlern und ließ sie nicht ohne Zugabe ziehen. So gab es noch einmal die abschließende Koloraturarie der Kantate mit auf den Nachhauseweg.
(Carmen Diemer-Stachel)